Innere Sicherheit, Recht und Justiz

PAG: Klageeinreichung

Kein Gesetz der CSU-Regierung ist in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung auf derart heftigen Widerstand gestoßen, wie die zweite Novelle des Polizeiaufgabengesetzes (PAG).
Wir haben heute Klage eingereicht!

06. Juni 2018

Wie in der abschließenden Plenardebatte bereits angekündigt, haben wir Landtags-Grüne gegen die 2. Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes - von der absoluten CSU-Mehrheit durchgedrückt - Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Unsere Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Innenpolitik, Katharina Schulze, und unser Prozessbevollmächtigter Prof. Dr. Christoph Degenhart, Universität Leipzig, Prof. für Staats- und Verwaltungsrecht, haben die Klageschrift persönlich beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof abgegeben. Wir Grüne klagen zum Schutz unserer Bürgerrechte und für unsere Freiheit.

In Bayern gibt es so wenig Kriminalität wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Bürgerinnen und Bürger leben weitgehend sicher. Und dennoch will die CSU der Polizei deutlich mehr Befugnisse geben. Die Folge: Die Freiheit der Menschen wird massiv eingeschränkt, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger werden beschnitten.

Am 25. Mai 2018 trat die 2. Novelle des Polizeiaufgabengesetzes in Kraft, mit dem die Eingriffsbefugnisse der Polizei noch einmal massiv ausgedehnt werden. Die Tätigkeit der Polizei verschiebt sich immer weiter ins Gefahrenvorfeld, sie erhält nachrichtendienstliche Befugnisse. Statt einer „konkreten Gefahr“ reicht eine „drohende Gefahr“ aus, um weitreichende Möglichkeiten der Überwachung einzusetzen.

Die CSU hat dieses Gesetz gegen die berechtigte Kritik aus Fachkreisen und den Protest der Zivilgesellschaft durchgedrückt. Und zwar nicht, weil wir in Bayern ein Sicherheitsproblem hätten, die Kriminalitätsstatistik spricht hier eine deutliche Sprache. Es geht einzig und allein darum, dass sich die CSU Vorteile im Wahlkampf verspricht. Doch dieses Kalkül könnte sich angesichts der massenhaften Proteste quer durch alle Bevölkerungsschichten als trügerisch erweisen. Denn auch nach der Verabschiedung des Gesetzes reißt der Protest gegen den Überwachungswahn der CSU nicht ab. Wir Grüne stehen an der Seite derer, die für ihre Freiheits- und Bürgerrechte kämpfen. 

Und wir stehen an der Seite unserer Polizei, der die CSU mit diesem Gesetz einen Bärendienst erweist. Denn ein Gesetz, dem selbst von Befürworten attestiert wurde, es sei an der Grenze zur Unlesbarkeit, hilft letztlich auch unsere Beamtinnen und Beamtinnen im Arbeitsalltag nicht weiter. Unsere Klage und die Proteste auf der Straße sind deshalb auch nicht gegen die Polizei, sondern gegen die CSU gerichtet.

Die Klageschrift gibt es hier!
Mehr Infos findet ihr auf www.pag-kritik.de

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Warum ist das PAG-Neuordnungsgesetz (2. PAG-Novelle 2018) verfassungswidrig?

Mit dem Gesetz wurde erneut das Polizeiaufgabengesetz (PAG) geändert. Neben einigen Anpassungen an EU-Recht und der Umsetzung von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil zum BKA-Gesetz, wird die Eingriffsschwelle der Polizei abgesenkt und sie erhält eine Vielzahl an neuen Eingriffsbefugnissen, die an vielen Stellen nicht mehr mit der Verfassung vereinbar sind.

Zentraler Kritikpunkt ist der Begriff der „drohenden Gefahr“. Er wurde schon durch die 1. PAG-Novelle 2017 als neue Grundkategorie in das PAG eingeführt und kam danach bei einigen wenigen Eingriffsbefugnissen zur Anwendung. Bis dato konnte die Polizei erst dann tätig werden, wenn eine konkrete Gefahr die Gefahrenabwehr erforderlich gemacht hatte. Mit der neuen Gefahrenkategorie wurde der Tätigkeitsbereich der Polizei weit ins Gefahrenvorfeld vorverlagert. Die Einführung dieses Begriffs im Jahr 2017 ist der verfassungsrechtliche Dammbruch der CSU-Sicherheitspolitik, gegen den die Landtagsgrünen damals klar im Parlament Stellung bezogen haben und gegen den wir bereits eine Klage vor dem BayVerfGH eingereicht haben.

Mit der 2. PAG-Novelle 2018 dehnt die CSU diesen Begriff nun auf beinahe alle polizeilichen Befugnisse aus und macht die Ausnahme zur Regel. Das BVerfG hat den Begriff in seiner Rechtsprechung zum BKA-Gesetz zwar benutzt, hat seiner Anwendung aber auch klare und enge Grenzen gesetzt. Nur der Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter im Zusammenhang mit der Terrorabwehr rechtfertigt laut Karlsruhe seine Anwendung. Die CSU überträgt den Begriff ins allgemeine Polizeirecht und beschränkt sich nicht auf den engen Bereich des Terrorismus.

Die informationelle Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz weicht dadurch bedrohlich und in verfassungswidriger Weise auf.


Welche Regelungen greift die Klage an?

Mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz hat die Polizei von der CSU zusätzliche verfassungswidrige Eingriffsbefugnisse bekommen. Wir richten uns mit der Klage insbesondere gegen folgende Einzelbefugnisse:

1.    DNA-Analyse, Art. 14 Abs. 3-6 und Art. 32 Satz 2 – 4 PAG

Die Polizei darf jetzt DNA-Material daraufhin analysieren, welches Geschlecht, welche Augen-, Haar- und Hautfarbe, welches Alter und welche biogeografische Herkunft (also z.B. Asiatin oder Afrikaner) der/die Spurenverursacher*in hat. Hier wird in den absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit eingegriffen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung bereits klargestellt, dass solche codierten Erbinformationen nicht untersucht werden dürfen.

2.    Durchsuchung von PCs, Speichermedien und der Cloud

Die Polizei macht jetzt keinen Unterschied zwischen der Durchsuchung elektronischen Speichermedien, also z.B. PCs oder Tabletts, und der Durchsuchung von anderen Sachen, z.B. einem Rucksack. Wenn also eine Person kontrolliert und durchsucht wird, weil die Polizei befürchtet, dass sie Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen, dann darf nicht nur ihr Rucksack durchsucht werden, sondern auch gleich das mitgeführte Notebook. Wenn die Polizei ein elektronisches Speichermedium, also z. B einen PC, durchsucht, dann darf sie jetzt auch auf die Daten zugreifen, die in der Cloud liegen. Und alles ohne Richtervorbehalt. Hier liegt ein Eingriff in den geschützten Kernbereich des Rechts auf die Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme vor (Computer-Grundrecht).


3.    Postsicherstellung

Hierbei handelt es sich um eine neue polizeiliche Maßnahme, die einen schwerwiegenden Eingriff in das Brief- Post- und Fernmeldegeheimnis darstellt. Da sie bereits beim Vorliegen drohender Gefahr und verdeckt erfolgen kann erfüllt die Befugnis nicht die an sie gestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen.

4.    Drohneneinsatz zur Aufzeichnung von öffentlichen Veranstaltungen

Die Polizei darf jetzt unbemannte Luftfahrtsysteme (Drohnen) einsetzen. Sie können mit Kameras bestückt werden, um Ansammlungen zu filmen und zu überwachen. Durch moderne Kameratechnik ist es möglich, aus der Luft eine große Menschenmenge detailliert zu erfassen. Hier liegt ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit vor, da das Bewusstsein der potentiellen Beobachtung und Aufzeichnung den Betroffenen faktisch von der Ausübung grundrechtlicher Freiheit abhalten kann.


5.    Ausdehnung des Begriffs der drohenden Gefahr auf tiefgreifende Befugnisse der Polizei

Bislang galt: Die Polizei schreitet ein, wenn es eine konkrete Gefahr gibt. Jetzt gilt: Bereits bei einer „drohenden Gefahr“ kann die Polizei tätig werden. Und zwar mit weitreichenden Befugnissen: Sage und schreibe 39 Maßnahmen stehen durch das PAG-Neuordnungsgesetz zur Verfügung - von der Online-Durchsuchung, Dauerobservation mit Ton und Bildaufnahmen, über den Einsatz Verdeckter Ermittler*innen bis zur Telekommunikationsüberwachung. Die polizeilichen Befugnisse werden ins Gefahrenvorfeld verschoben. Die breite Absenkung der Eingriffsschwelle führt dabei zu einem rechtsstaatswidrigen Eingriff in die betroffenen Grundrechte.

Ist das Gesetz verfassungswidrig, obwohl an vielen Stellen ein Richtervorbehalt besteht?

Rechtsstaatliche Defizite können nicht über Richtervorbehalte ausgeglichen werden. In der Sache nicht gerechtfertigte Grundrechtseingriffe werden nicht dadurch gerechtfertigt, dass sie vom Richter angeordnet werden. Im Übrigen: Die polizeiliche Lagebeurteilung im Hinblick auf eine „drohende Gefahr“ enthält so viele Prognoseelemente, dass nicht recht vorstellbar ist, wie ein Richter sie entkräften sollte.
Die Ausgestaltung des Richtervorbehalts im PAG geht überdies nicht mit einer Pflichtverteidigung für den Betroffenen einher. Das führt zu bedenklichen Rechtsschutzdefiziten und die Schutzfunktion der Richtervorbehalte wird dadurch entscheidend geschwächt.

Warum klagen die Landtags-Grünen vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH)?

Die Verfassung des Freistaats Bayern eröffnet den Landtagsfraktionen die Möglichkeit mittels einer sog. Meinungsverschiedenheit nach Art. 75 Abs. 3 BV vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof klären zu lassen, ob durch ein Gesetz die Bayerische Verfassung (unzulässig) geändert wurde. Es handelt sich bei dem Verfahren deshalb um eine Art abstrakte Normenkontrolle.


Was fordern wir Grüne?
•    Keine Vernachrichtendienstlichung der Polizei
•    Für die Bekämpfung der Internetkriminalität braucht die Polizei noch mehr Expertise im IT-Bereich und keine verfassungswidrigen Eingriffsbefugnisse

•    Sicherheitspolitik verlangt Augenmaß vor allem bei den polizeilichen Befugnissen, um Bürgerrechte nicht unnötig einzuschränken. Wir lehnen es ab, der Polizei im Polizeiaufgabengesetzes (PAG) Befugnisse einzuräumen, die nichts mit realen terroristischen Gefahren zu tun haben oder reine Sicherheitsplacebos sind.
•    Wir wollen die Polizei stärken und bürgernäher machen mit einem modernen Personalkonzept

Was ist bisher geschehen?

Jahr 2017:
    
4. April 2017  
    1. PAG-Novelle:  Die CSU-Staatsregierung reicht den Entwurf für ein „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ ein. Es wird in der Öffentlichkeit als „Gefährdergesetz“ bezeichnet, trifft aber nicht nur islamistische Gefährder, sondern bedeutet Eingriffe in die Bürgerrechte der gesamten Bevölkerung.

24. Juli 2017      Der Bayerische Landtag beschließt das Gesetz mit den Stimmen der CSU-Fraktion. Die Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stimmen als einzige Landtagsfraktion gegen den Entwurf. Die Abgeordneten der SPD-Fraktion sowie der Fraktion der FW enthalten sich der Stimme.

01. August 2017      Die 1. PAG-Novelle tritt in Kraft


Jahr 2018:
    
30. Januar 2018    2. PAG-Novelle:  Die CSU-Regierung reicht den Entwurf für das PAG- Neuordnungsgesetz ein. Die CSU-Regierung betreibt eine massive Ausdehnung der Polizeibefugnisse ins Gefahrenvorfeld.

21. März 2018    Im Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport erfolgt eine Expertenanhörung der 2. PAG-Novelle.

27. März 2018    Die Landtags-Grünen reichen ihre Klage gegen die 1. PAG-Novelle vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof ein

15. Mai 2018    Die 2. PAG-Novelle wird mit den Stimmen der CSU-Mehrheit und gegen die Stimmen der Opposition im Bayerischen Landtag verabschiedet.
 
25. Mai 2018    Inkrafttreten der 2. PAG-Novelle

06. Juni 2018    Die Landtags-Grünen klagen gegen die 2. PAG-Novelle vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof

Die Klageschrift gibt es hier!
Mehr Infos findet ihr auf www.pag-kritik.de