Finanzen und Haushalt

Sonderinvestitionsprogramm "Bayern Barrierefrei 2023" entpuppt sich als Mogelpackung

Claudia Stamm: "Statt der behaupteten 200 Millionen werden nur 20 Millionen Euro zusätzlich investiert." Ein Jahr nachdem Ministerpräsident Horst Seehofer in seiner Regierungserklärung angekündigt hat, Bayern bis zum Jahr 2023 im gesamten öffentlichen Raum und ÖPNV barrierefrei zu machen, ist das großspurige Versprechen bereits wieder wie eine Seifenblase geplatzt.</p>

14. November 2014

Im Zuge der Beratungen zum Haushalt ihres Ministeriums musste Sozialministerin Emilia Müller auf beharrliches Nachfragen der Grünen zugeben, dass von den angeblich 192 Mio. € für das Sonderinvestitionsprogramm ‚Bayern barrierefrei 2023‘ nur 20 Mio. € oder 10 Prozent tatsächlich zusätzliches Geld sind. Bei den restlichen Mitteln handelt es sich lediglich um eine Zusammenfassung bereits lange im Haushalt enthaltener Titel oder um Verpflichtungsermächtigungen für die Jahre ab 2017, ohne das zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt würden. "Es handelt sich also um eine gigantische Mogelpackung", kritisiert die Grüne Haushaltspolitikerin Claudia Stamm. "Ohne zusätzliche Mittel hat das Sonderinvestitionsprogramm seinen Namen nicht verdient."

Sozialministerin Müller ist zuvor im Sommer mit einem umfassenden Konzept zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Ministerrat gescheitert. In einer interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung des Sozial- und Innenministeriums wurde seit Februar 2014 ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept erarbeitet und im Juli im Ministerrat als Beschlussvorlage vorgelegt, welches für die Jahre 2015 und 2016 tatsächlich zusätzliche Mittel in Höhe von knapp 176 Millionen Euro benötigt hätte. Dieses ernstzunehmende Konzept ist dann am Veto von Finanzminister Söder gescheitert. Söder berief sich dabei auf die gültige Beschlusslage der Staatsregierung, kein zusätzliches Geld für die Umsetzung der Inklusion in Bayern auszugeben. „Es ist für mich nicht vorstellbar, dass Söder ohne Rückendeckung von Ministerpräsident Seehofer eine bereits interministeriell abgestimmte Beschlussvorlage einfach so vom Tisch wischen kann“, vermutet Claudia Stamm. "Seehofer hätte aber angesichts seiner Versprechungen in der Regierungserklärung im Wort gestanden seiner Sozialministerin den Rücken zu stärken."

Gesamtinvestitionsbedarf: mindestens 1,5 Milliarden Euro bis 2023

 
Bei den von der Staatsregierung behaupteten drei prioritären Handlungsfeldern bei der Umsetzung der Barrierefreiheit, Mobilität, Bildung und staatliche Gebäude, bleibt bei näherem Hinsehen ebenfalls nicht viel übrig.
Bei den jährlich 30 Millionen Euro für neue Linienbusse handelt es sich lediglich um die Weiterreichung von Bundesmitteln zur Förderung des ÖPNV. Auch die jährlich 10 Mio. € für den Ausbau von Bahnhöfen sind Bundesmittel aus dem Kraftfahrsteuerverbund. In beiden Bereichen geht es lediglich um die Umsetzung gesetzlicher Standards. Im Bereich Mobilität gibt der Freistaat also keinen zusätzlichen Cent aus.

Im Bereich Bildung sieht es nicht besser aus. Bei den behaupteten jährlich 11 Mio. € zum Ausbau von Schulen und Kitas handelt es sich nur um einen fiktiven Anteil der Zuweisungen aus dem Finanzausgleichsgesetz (FAG)  zum Bau von neuen Schulen, schulischen Sportanlagen und Kitas. „Auch in der Bildung gibt der Freistaat keinen zusätzlichen Cent für Barrierefreiheit aus, sondern erfüllt lediglich seine gesetzlichen Verpflichtungen nach dem FAG“, kritisiert die Grüne Sozialpolitikerin Kerstin Celina.

Im Bereich der staatlichen Gebäude werden angeblich 20 Millionen € jährlich für Investitionen in die Barrierefreiheit von Neubauten ausgegeben. Auch hier wurde lediglich der ungefähre Anteil aus den staatlichen Hochbaumitteln errechnet, der für die Umsetzung der baurechtlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit ausgegeben wird. Also auch hier weder neue Maßnahmen noch zusätzliches Geld.
Lediglich die 9,0 Millionen € in 2015 und die 8,5 Mio. € in 2016, die für Investitionen in staatliche Bestandsgebäude wie Museen, Gerichte und Polizeiwachen ausgegeben werden, stellen vermutlich tatsächlich zusätzliche Mittel dar. Hinzu kommen noch insgesamt 2,5 Mio. € für flankierende Öffentlichkeitskampagnen und Bratungsangebote zur Umsetzung von Bayern Barrierefrei.

"Angesichts eines auch von Sozialministerin Müller angenommen Gesamtinvestitionsbedarfs von mindestens 1,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2023, sind die zusätzlichen 20 Millionen Euro für 2015 und 2016 geradezu lächerlich",  resumiert Kerstin Celina. "Damit ist es aussichtslos, den gesamten öffentlichen Raum, und den gesamten ÖPNV, wie von Ministerpräsident Seehofer versprochen, bis 2023 barrierefrei auszugestalten."


Kurzanalyse zum Sonderinvestitionsprogramm 'Bayern Barrierefrei 2023'

Grüner Berichtsantrag zum Sonderinvestitionsprogramm "Bayern Barrierefrei 2023" (23.01.2014)


Barrierefreiheit in Bayern: Den Mund zu voll genommen (sueddeutsche.de)