Energie

Geht der bayerischen Energiewende die Luft aus?

<p><strong>Martin Stümpfig: Energiewende in Bürgerhand braucht verlässliche Rahmenbedingungen!</strong> Am kommenden Montag beginnen in Paris die UN-Klimaverhandlungen, die wichtige Weichen im internationalen Klimaschutz stellen müssen. Mit Blick auf Bayern stellt unser Energie-Experte fest: Die bayerische Energiepolitik hat sich in den vergangenen zwei Jahren fast ausschließlich mit zwei Dingen beschäftigt, darüber hinaus ist nicht sehr viel passiert...</p><ul><li>

25. November 2015

Die 10H-Regelung stutzte die nach langer Zeit endlich aufblühende bayerische Windkraftnutzung so zusammen, dass nur noch ganz vereinzelt neue Projekte gewagt werden.

  • Eine teilweise abstruse Diskussion über die HGÜ-Leitungen nach Bayern hat den Netzausbau um mindestens zwei bis drei Jahre zurückgeworfen.

1. Das neue Konzept der CSU-Regierung: statistische Tricks statt Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE)

Die jüngste Entwicklung zeigt, dass die CSU-Regierung ihre selbst gesteckten Ziele bei der Energiewende gar nicht mehr erreichen will. Das neue Energieprogramm von Wirtschaftsministerin Aigner setzt sehr bescheidene Zielmarken: Der Anteil der EE an der bayerischen Stromerzeugung soll sich auf 70 Prozent bis 2025 erhöhen. Das ist ein Taschenspielertrick, das bestätigen ganz frische Zahlen für das Jahr 2014 des Landesamts für Statistik (KW 47/2015): Im Jahr 2014 wurden 88,3 TWh Strom erzeugt. Davon stammten 31,9 TWh (36,2 Prozent) aus EE und 42,4 TWh aus Atomkraftwerken (48 Prozent). Werden diese Atomkraftwerke stillgelegt und bleibt die Produktion aus EE gleich, springt der Anteil der EE auf 69,6 Prozent. Das Ziel bayerischer Energiepolitik ist es also, in zehn Jahren den Anteil von 69,6 Prozent um 0,4 Prozentpunkte auf 70 Prozent zu erhöhen. Das ist eine Zunahme um 0,18 TWh in zehn Jahren – allein die Photovoltaik hat 2014 in Bayern um 1,3 TWh zugenommen!

2. Aktuelle Tendenzen in der deutschen Elektrizitätswirtschaft

Die Stromwirtschaft in Deutschland wird zunehmend von den unverändert anhaltenden Überkapazitäten im Kraftwerksbereich geprägt. Diese Überkapazitäten wachsen mit dem Zubau von EE-Anlagen immer weiter, weil die großen Energieversorger nicht bereit sind, alte Anlagen, die tatsächlich Strom produzieren, wirklich vom Netz zu nehmen.
Diese Überkapazitäten haben fatale Folgen:

  • 1. Der Strompreis verfällt Die Großhandelspreise für Strom gehen von Jahr zu Jahr zurück, Strompreis liegt bei unter drei Cent pro kWh für 2016, bei diesen niedrigen Preisen kommen einige Gaskraftwerke, zunehmend auch Steinkohlekraftwerke, nicht mehr in den Markt und diejenigen, die noch Strom produzieren, erzielen deutlich geringere Deckungsbeiträge, Gewinne der Konzerne schmelzen dahin.
  • Die Stromexporte steigern sich von Jahr zu Jahr zu neuen Rekorden Der Strompreis in Deutschland verfällt, Europa kauft: Nach Erhebungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) vom 18.11.15 wurde in den ersten neun Monaten 2015 bereits mehr Strom (im Saldo) ins Ausland exportiert als im kompletten Jahr 2014 (35 TWh). Das ist mehr als die vier bayerischen Atomkraftwerke in dieser Zeit produziert haben.
  • Trotz des hohen Stromexports geht das „Kraftwerkssterben“ weiter. Exportiert wird fast nur noch Strom aus EE, AKW und Braunkohlekraftwerken, immer mehr relativ saubere und flexible Gaskraftwerke (momentan 57 laut Bundesnetzagentur, davon neun in Bayern) werden stillgelegt statt gefährlicher Atomkraftwerke oder CO2-Schleudern auf Braunkohlebasis.


3. Berliner GroKo: Träge Politik ohne Gestaltungswillen

Die Berliner Große Koalition hat es zwar geschafft, Horst Seehofer den Bedarf an HGÜ-Leitungen wieder nahezubringen, vollführte aber gleichzeitig eine Rolle rückwärts, als der Ausstieg aus der Braunkohle erneut vertagt wurde.
Statt eines „Klimabeitrags“ der deutschen Stromwirtschaft werden Braunkohleraftwerke über viele Jahre noch von Stromkunden durchgefüttert, für eine Kapazitätsreserve, die keiner mehr wirklich braucht.

Gleichzeitig werden die Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK-Anlagen) subventioniert, weil diese auf Grund der Konkurrenz der Braunkohle nicht mehr ausreichend Erträge abwerfen. Zwei konkurrierende Technologien zu subventionieren – auf Kosten der Stromkunden – ist eine träge Politik ohne einen Hauch von Gestaltungswillen. Das befriedigt nur noch die Interessen verschiedener Lobbys, hat aber mit Energiewende nichts mehr zu tun.

Um die bestehenden KWK-Anlagen angesichts der gesunkenen Strompreise rentabel zu halten, sieht das KWK-Gesetz vor, diese mit 1,5 Cent/kWh zu fördern. Diese Maßnahme ist suboptimal, weil es sinnvoller ist, die Braunkohle aus dem Markt zu nehmen und damit die Gas-betriebene KWK im Markt stabil zu etablieren. Wenn man allerdings diese Art der Doppelförderung betreibt, dann sollte der Fördersatz so hoch sein, dass er tatsächlich auch Wirkung zeigt: zwei Cent/kWh

Die Bundesrepublik hat sich gesetzlich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 25 Prozent des Stroms in Kraft-Wärme-Kopplung zu erzeugen und dies im Koalitionsvertrag bekräftigt. Von diesem Ziel ist Deutschland weit entfernt. Im Jahr 2013 wurden lediglich 16,2 Prozent des Stroms in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt. In der von der Bundesregierung vorgelegten Novelle des KWK-Gesetzes wird dieses 25 Prozent-Ziel kaltblütig gekürzt. Zwar hält man trickreich an der Zahl 25 Prozent fest, ändert aber die Berechnungsgrundlage: Statt der gesamten Stromerzeugung wird in Zukunft nur noch die regelbare Stromerzeugung zu Grunde gelegt. Wind und Solarstrom werden aber im Jahr 2020 bereits ein Viertel unseres Strombedarfs decken, und damit würde aus dem ehemaligen 25 Prozent-Ziel faktisch ein 20 Prozent-Ziel.

4. Der bayerischen Energiewende geht die Luft aus

Unter diesen Bedingungen trifft es Bayern besonders hart. Die Situation bei den bayerischen Gaskraftwerken ist trostlos. Sie haben in der aktuellen Marktsituation keine Chance, schwarze Zahlen zu schreiben. Da sie überwiegend bei der Wärmeproduktion zum Einsatz kommen, bringen rein stromerzeugende Gaskraftwerke nur spärlich Geld, meist dann, wenn der Braunkohlestrom wegen bestehender Netzengpässe nicht geliefert werden kann.
Noch schlimmer: Gleichzeitig ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Bayern zusammengebrochen.
Im Bereich Windkraft werden nur noch Anlagen errichtet, die vor der unsäglichen 10H-Regelung ins Genehmigungsverfahren eingestiegen sind. Im Vergleich: 2013 waren es 573 neue Genehmigungsanträge, im ersten Quartal 2015 gerade einmal Anträge für zwölf neue Anlagen.

Im Bereich Photovoltaik geht es ähnlich bergab. Die EEG-Vergütung wurde unverhältnismäßig gestutzt, der Eigenverbrauch mit Abgaben belegt und der Bau von Freiflächenanlagen durch die Pilotausschreibungen in Bayern unmöglich gemacht. Im bundesdeutschen Vergleich hohe Pachtpreise führen zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil.


Die Energiewende wird durch die CSU-Regierung in Bayern ausgebremst. Die Große Koalition in Berlin setzt aber noch eins drauf: Durch die geplante Novelle des EEG soll das erfolgreiche Finanzierungsmodell der Energiewende endgültig beerdigt werden. Künftig soll die Höhe der Förderung nicht mehr über eine gesetzliche Vergütung ermittelt werden, die für Planungssicherheit sorgt, sondern über ein Ausschreibungsmodell. Zu was das führt, zeigen die Ergebnisse der ersten Pilotverfahren im Bereich Photovoltaik: Einschränkung der Akteursvielfalt, keine nennenswerte Kostenersparnis, keine Bürgerbeteiligung. Ausschreibungen sind Gift für die Energiewende, die bis heute vor allem von zahlreichen BürgerInnen in Genossenschaften oder anderen Beteiligungsmodellen vorangetrieben wurde.
Es ist nicht dramatisch, dass Bayern nach dem Atomausstieg zum Stromimportland wird. Aber wenn die bayerische Blockade anhält und die aktuellen Berliner Pläne nicht revidiert werden, wird die Energiewende zukünftig außerhalb Bayerns stattfinden und die Bürgerenergie in Bayern keine Chance mehr haben.

5. Für eine erfolgreiche Energiewende in Bayern und Deutschland: Was jetzt geschehen muss

Unser Ziel ist ein verstärkter Ausbau der Erneuerbaren Energien, mehr effiziente Kraft-Wärme-Kopplung und deutliche Anstrengungen zur Energieeinsparung. Mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen aus Berlin, ergänzt durch landespolitische Maßnahmen wollen wir pro Jahr zusätzlich mindestens:
1 TWh Windenergie, 1 TWh Sonnenstrom, 1 TWh Stromeinsparung.


Dass das möglich ist, zeigen die jährlichen Stromerträge aus Sonne und Wind in der Vergangenheit:
Die Zubauraten der Photovoltaik sind bei einer angemessenen EEG-Vergütung leicht erreichbar, wie die Zahlen der letzten Jahre belegen. Unser Ziel bei der Windkraft ist auch realistisch, wenn man die Genehmigungszahlen für Windräder in den Jahren 2013 und 2014 betrachtet, also der Zeit, in der die CSU-Regierung ihre Blockade gegen die Windkraft kurzzeitig aufgegeben hat.

Die Stromeinsparung ist schwerer zu erreichen. Fest steht allerdings, dass die Entwicklung gegenwärtig in die falsche Richtung läuft. Der Stromverbrauch in Bayern steigt seit 2010 jährlich um etwa eine TWh.

Hauptforderung Richtung Berlin: Keine Ausschreibungen! Weil die derzeitigen Machtverhältnisse aber nahe legen, dass sie kommen werden, müssen wir deren giftigste Zähne ziehen.

Windenergie weiter ausbauen

  • Ausnahmeregelung für Windkraftprojekte mit bis zu sechs Anlagen/De-minimis-Regelung der EU
  • Feste Vergütung für Bürgerenergiegesellschaften
  • Regionalisierte Ausschreibungsrunden mit einem festen Anteil am Ausschreibungsvolumen für Süddeutschland
  • Abschaffung überzogener 10H-Regelung
  • Stärkung regionaler Planungsverbände für eine fundierte, überregionale Planung

Photovoltaik wieder stärken

  • Hemmnisse des EEG 2014 beseitigen: Bessere Vergütung für Dachanlagen und keine Abgaben auf selbstgenutzten Strom
  • De-minimis-Regelung bei Ausschreibungen für Anlagen unter 1 MWp
  • Regionalisiertes Ausschreibungsverfahren für Freiflächenanlagen ab 1 MWp
  • PV-Ausbau-Offensive für öffentliche Liegenschaften

Biogas sichern

  • Flexibler Einsatz von Biogasanlagen, um Wind und Sonne sinnvoll zu ergänzen
  • Neue Finanzierungspolitik: Neuer Fördermechanismus und neue Geschäftsmodelle für bestehende Anlagen

Stromeinsparung angehen

  • Energieagenturen in allen Landkreisen und kommunale KlimaschutzmanagerInnen zur Bewusstseinsbildung und Anstoßen von Einsparprojekten
  • Zielgerichtete Förderprogrammen für einkommensschwache Haushalte und finanzschwache Kommunen
  • Erarbeitung verbindlicher Richtlinien zum effizienten und sparsamen Umgang mit Energie im gewerblichen Bereich

Kraft-Wärme-Kopplung eine Chance geben

  • Erhöhung der Förderung von 1,5 Cent/kWh auf zwei Cent/kWh (hoher Wirkungsgrad der Anlagen, großer Beitrag zum Klimaschutz)
  • Erhöhung Förderung der Umrüstung von kohlebasierten Anlagen auf Gas von 0,5 Cent/kWh auf einen Cent/kWh (klimapolitisch hoch sinnvoll)
  • Beibehaltung KWK-Ausbauziel von 25 Prozent