Sozialpolitik

Junge Schultern entlasten!

Grüne Offensive für „Young Carer“ - Kinder, die ihre Eltern pflegen

30. Oktober 2020

Die Problematik
Die Kindheit und Jugendphase sind entscheidend für ein gutes Leben als Ganzes. Hier sollten Kinder spielen, Spaß haben, Jugendliche sich ausprobieren und möglichst sorgenfrei leben können. Dafür brauchen sie eine starke Familie, die sie unterstützt und ihnen den Rücken freihält. Manchmal ist das nicht möglich: Wenn Eltern oder Großeltern krank werden, sind es oft die Kinder, die ihre Aufgaben übernehmen. Das reicht von Einkauf und Haushalt über Gänge zum Amt bis zur Organisation des Familienalltags und Versorgung der Geschwister. Auch die Pflege des kranken Familienmitglieds wird vom sogenannten „Young Carer“ übernommen. Das sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die einen oder mehrere Angehörige umsorgen und pflegen. Oft sind sie die Stütze der Familie, besonders, wenn es nur einen Elternteil gibt oder der andere zu stark beruflich eingespannt ist.

Laut Staatsregierung gibt es ca. 35 400 „Young Carer“ zwischen zwölf und 18 Jahren in Bayern. Durch die plötzliche Pflegebedürftigkeit in der Familie lastet auf einmal erheblicher Druck auf den Kindern. Allein die Krankheit der Liebsten zu verarbeiten, ist schwierig, wenn dann auch noch die Geschwister versorgt werden müssen, ist eine normale Kindheit fast unmöglich. Das zieht erhebliche soziale, psychische und schulische Folgen nach sich. So ergab eine Untersuchung des Zentrums für Qualität in der Pflege: 51 Prozent der „Young Carer“ sind durch die Situation belastet. Am bedrückendsten wurde die ständige Sorge um die zu pflegende Person empfunden (54 Prozent); Viele von ihnen beklagen Einschränkungen in der eigenen Freizeit (12 Prozent).
Bisher wurde den jungen Pflegenden sowohl politisch als auch gesellschaftlich viel zu wenig Beachtung geschenkt – viele wissen gar nicht, dass es „Young Carer“ gibt, spezifische Unterstützungsangebote sind rar und das Thema oftmals tabuisiert. Wir Grüne fordern, „Young Carer“ stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken und zu unterstützen! Die nicht altersgerechten Belastungen von pflegenden Kindern und Jugendlichen müssen durch gute staatliche Strukturen abgefangen und ausgeglichen werden.


Status Quo in Bayern
Der Bericht der Bayerischen Staatsregierung zu den Unterstützungsangeboten pflegender Kinder und Jugendlicher von September 2020 zeigt dringenden Verbesserungsbedarf auf. Zum einen gibt es keine Angebote für „Young Carer“ durch den Freistaat Bayern. Spezifische Angebote basieren auf der Eigeninitiative von Betroffenen (Lana Rebhan mit www.young-carers.de) oder der Zivilgesellschaft (Johanniter-Unfall-Hilfe Unterfranken, „Superhands“). Wir müssen aber als Politik die notwendigen Strukturen aufsetzen! Bundesweite Unterstützungsmöglichkeiten wie das Projekt „Pausentaste“ empfinden viele Betroffene als nicht hilfreich. 72 Prozent der bayerischen Fach- und Beratungsstellen für pflegende Angehörige kennen diese Projekte nicht einmal, sodass sie Ratsuchende gar nicht dorthin vermitteln.

Pflegende Kinder und Jugendliche haben spezielle Probleme und Bedürfnisse, es braucht daher passgenaue Hilfen, damit sich Kinder und Jugendliche angesprochen fühlen und diese sie niedrigschwellig erreichen. In einem ersten Schritt muss zudem die Öffentlichkeit stärker für die belastende Lebenssituation der „Young Carer“ sensibilisiert werden. Wenn das Bild der starken Familie auseinanderbricht, herrscht oft Angst, Scham und es wird totgeschwiegen. Dies liegt auch an der gesellschaftlichen Tabuisierung, die die Last auf den Schultern dieser Kinder und Jugendlichen unsichtbar macht. Durch gezielte Aufklärungsarbeit kann der Stigmatisierung der betroffenen Familien entgegengewirkt werden.


Grünes Antragspaket
Wir Grüne legen sieben Lösungsvorschläge vor, die die Herausforderungen der „Young Carer“ in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, nachhaltig und gezielt ihre Unterstützungsangebote erweitern und somit für ihre Entlastung sorgen.

  1. Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit!
    Die immensen Belastungen, denen „Young Carer“ aufgrund der Pflege eines kranken Familienmitgliedes ausgesetzt sind, sind wenig bekannt. Dies führt dazu, dass ihre Not und die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit sowie den schulischen Erfolg oftmals übersehen werden. Öffentliche Aufklärungskampagnen sollen daher die Bevölkerung informieren; sensibilisieren und somit das Thema enttabuisieren. Zugleich sollen pflegende Kinder und Jugendliche besser über Beratungsangebote informiert werden. Dabei ist auf eine kindgerechte Aufbereitung zu achten.
     
  2. Online-Unterstützung!
    Die bisherigen als hilfreich erachteten Online-Portale wurden von Betroffenen oder der Zivilgesellschaft aufgebaut. Informationsangebote sowie Austauschmöglichkeiten sollten jedoch von staatlicher Seite angeboten werden. Wir fordern die Erstellung eines Portals, das bisherige Hilfsangebote bündelt und diese leicht verständlich sowie kindgerecht darstellt – um die Not der „Young Carer“ weiter in die Öffentlichkeit zu rücken und ihnen zugleich die Möglichkeit zu Hilfe und Austausch zu bieten.
     
  3. Sensibilisierung von Fachstellen!
    Mit einem jährlichen Runden Tisch wollen wir die Anliegen der „Young Carer“ in den bayerischen Fach- und Beratungsstellen verankern. Bisher verfügen diese und andere Stellen, die Hilfe anbieten können, nur über geringes Wissen über die Herausforderungen der jungen Pflegenden. Sensibilisierung ist wichtig, da nur so wirksame Unterstützung angeboten werden kann.
     
  4. Psychologische Hilfe!
    Durch die hohe emotionale sowie psycho-soziale Belastung sind „Young Carer“ besonders gefährdet für psychische Krisen. Wir wollen digitale und telefonische Beratungen speziell für „Young Carer“ einrichten. Die geplante Kinderschutz-App des Sozialministeriums soll ebenfalls spezifische Unterstützung anbieten. Da die SöderRegierung allgemein bei der psychiatrischen Versorgung von Kindern hinterherhinkt, muss zusätzlich das Angebot an Kinder- und Jugendpsycholog*innen sowie an Kurzzeittherapieplätzen ausgebaut werden, um das Wohl aller Kinder zu sichern.
     
  5. Ansprechpartner*innen in der Schule!
    Wenn Mitschüler*innen und Lehrer*innen nicht sensibilisiert sind und auf die Belastungen keine Rücksicht genommen wird, kann die Schule zur Überforderung und Stigmatisierung der „Young Carer“ beitragen. Um das zu verhindern, muss die Herausforderung im Schulunterricht thematisiert werden. Ein erweitertes Angebot an Jugendsozialarbeit an Schule sowie der Einsatz von Vertrauenspersonen in der Schulfamilie, die den „Young Carern“ beratend zur Seite stehen, sorgt dafür, dass sie sich in der Schule unterstützt und gestärkt fühlen.
     
  6. Hilfe im Haushalt!
    Wir fordern, dass auch „Young Carers“ zwischen zwölf und 16 Jahren eine Haushaltshilfe gewährt bekommen. Bisher ist dies nur bis zwölf Jahren möglich – ausgerechnet für „Young Carer“ ergibt sich so oft eine Versorgungslücke. Dafür braucht es eine Änderung der Bestimmungen für Haushaltshilfen auf Bundesebene.
     
  7. Bayerisches Monitoring!
    Um das Hilfsangebot zu verbessern, brauchen wir mehr Informationen über pflegende Kinder und Jugendliche in Bayern. Die Bayerische Staatsregierung verweist nach wie vor auf deutschlandweite Zahlen und Erkenntnisse. Mit welchen besonderen Herausforderungen sind "Young Carer" in Bayern konfrontiert? Wie viele "Young Carer" in Bayern stemmen die Pflege eines Angehörigen hauptverantwortlich? Wie belastet sie diese Situation? Welche Hilfe brauchen sie im Besonderen? Das bleibt unbeantwortet. Wir wollen diese Lücken mit einem Bayerischen Monitoring schließen.

→ Unser Antragspaket zum Download

Wer interessiert ist, kann gerne die Pressekonferenz auf unserem YouTube Kanal nachschauen oder sich noch weiter auf der Seite der „Young Carers" informieren.