Integration und Migration

Lange Wege zwischen Serbien-Kosovo: Ein Reisebericht

<p>Im Rahmen einer Delegationsreise des Arbeitskreises für Bildung, Gesundheit und Soziales der Landtags-Grünen besuchten mehrere Abgeordnete Serbien und Kosovo. Thematischer Schwerpunkt der Reise war neben der Situation der Roma auch die Lage der aus Deutschland nach Serbien oder dem Kosovo abgeschobenen Flüchtlinge und die Situation in den beiden Ländern, sowie der Status der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen.&nbsp;</p><p></p><p><strong>Korrupte Politik und Abwanderung der Bevölkerung </strong></p>

10. November 2016

Ausgangspunkt der Reise war die serbische Hauptstadt Belgrad. Durch Gespräche mit Vertretern und Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen und Verbänden aber auch mit offiziellen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern konnten wir einen Einblick in die Situation Serbiens und der dortigen Minderheiten erhalten.

Serbien leidet unter ähnlichen Problemen, wie andere osteuropäische Staaten auch. Ein niedriges Lohnniveau, sowie hohe Gesundheits- und Lebenshaltungskosten treiben vor allem junge Menschen in westliche Länder, wie beispielsweise Deutschland. Ein gleiches Bild zeigt sich im Kosovo. Das als Braindrain (Talentschwund) bekannte Problem birgt auch in Serbien und im Kosovo die Gefahr eines Teufelskreislaufs. Auf der einen Seite arbeiten vor allem junge Menschen immer häufiger im Ausland, lassen so oftmals im Land die älteren Generationen und die armen und bildungsfernen Schichten der Gesellschaft zurück, die wiederrum nur bedingt eigene Chancen und Potenziale in den Heimatländern schaffen können. Auf der anderen Seite schaffen vor allem ausländische Unternehmen Arbeitsplätze und investieren in das Land. Zumeist sind die geschaffenen Arbeitsplätze und Produktionsstandorte im Bereich der verlängerten Werkbank – also Tätigkeiten, die möglichst billig und einfach zu erlernen sind. Sollte nun also das Lohnniveau steigen, würden diese Arbeitsplätze ebenso verschwinden, wie auch die ausländischen Investoren. Um aus diesem Teufelskreislauf ausbrechen zu können, müssten eigene Produktionsstandorte geschaffen werden und wesentlich mehr in die Ausbildung der im Inland tätigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen investiert werden.

Erschwert wird dies dadurch, dass die eigenen Abgeordneten und die Regierung als korrupt gelten und in den beiden besuchten Ländern wenig Ansehen zu haben scheinen. Von mehreren Seiten, ob Kosovo-Albanerin, ob Roma oder Serbe, die Antwort auf die Frage, was geschehen müsste, war zu hören: Alle Politiker müssen ins Gefängnis. Das Vertrauen in politische Prozesse, in die Strafverfolgung, das Parlament, die Behörden und auch in die Minister und Ministerinnen, ist sowohl im Kosovo, als auch in Serbien gering. Viele Bürger und Bürgerinnen scheinen nicht daran zu glauben, dass sich gewählte Volksvertreterinnen und -vertreter für das Wohl aller einsetzen anstatt den eigenen Partikularinteressen zu folgen.

Initiativen der Regierungen im Kosovo und Serbien geschehen nur sehr langsam und sind oft nicht von Erfolg gekrönt. Als Initiative gegen Korruption wird beispielsweise in Serbien überlegt, eine Vermögenskartei einzuführen, in der angegeben wird, wie sich das Privatvermögen von Parlamentariern und Ministeriellen im Laufe der Amtszeit ändert. Auch die Strafverfolgung und Ächtung von Bestechungen soll verschärft werden. Solche Konzepte und Maßnahmen sind jedoch oftmals nur theoretische Konzepte, die nie umgesetzt werden. In Serbien ist es nach wie vor üblich, dass mit einem Regierungswechsel MitarbeiterInnen oder BeamtInnen der nun herrschenden Partei beitreten müssen. Der Fall, dass eine Bibliothekarin auf dem Land zur jeweils nun neu herrschenden Partei wechseln muss – um nicht gekündigt zu werden, zeigt wie weit der Weg zu funktionierenden demokratischen Verhältnissen noch ist. Noch nicht allzu lange vorbei sind die Zeiten, als Mandatsträger und -trägerinnen vor Amtsantritt dem Parteivorsitzenden ein undatiertes Rücktrittsschreiben hinterlegen mussten. Fortschritte sind langsam, doch vorhanden; die wirtschaftliche Entwicklung ist positiv, Serbien ist von allen Balkanstaaten dem EU-Beitritt am nächsten. 

Flüchtlinge – man sieht sie kaum, man kümmert sich auch nicht um sie

Serbien ist für Flüchtlinge auf dem Weg nach Norden zur Sackgasse geworden. Man sieht sie kaum, doch morgens am Bahnhof oder an der Infostelle unweit des Busbahnhofs trifft man Migranten und Migrantinnen, die auf Baustellen, Gehwegen, in Ruinen und Parkhäusern übernachten. Wie diese im Winter sich vor dem Erfrieren retten können sollen, ist unklar. Die Flüchtlinge suchen weiter nach einem Weg nach Norden, doch der relativ kurze und übersichtliche Grenzabschnitt nach Ungarn ist ziemlich dicht. Flüchtlinge werden aus Ungarn oder Kroatien nach Serbien zurückbefördert. Den Grenzübergang nach Ungarn darf täglich eine kleine Gruppe von ca. 30 Flüchtlingen passieren. Wesentlich mehr warten in einem Lager vor der Grenze auf Passiermöglichkeit. Aus Bulgarien, Mazedonien, Montenegro und dem Kosovo reisen wesentlich mehr Flüchtlinge nach Serbien ein. Mit Bulgarien, Griechenland und Ungarn lehnen wichtige Transitstaaten die Rücknahme von Flüchtlingen aus EU-Partner-Staaten ab. In Serbien hängen immer mehr Menschen fest, von über 9.000 war die Rede. Selbst bei Bestand des Flüchtlingspakts mit der Türkei wird Serbien im Winter an die Grenzen seiner Möglichkeiten geraten. Nötig wären viel mehr EU-Finanzhilfen aber auch Integrationskonzepte. Nötig wären auch Kontingente zur Aufnahme in Griechenland und im Balkan gestrandeter Flüchtlinge.

Zwar sind BAMF-MitarbeiterInnen, Bundespolizei und VertreterInnen verschiedener Dienste vor Ort, um die Situation zu beobachten. Aus Sicht einer Grünen Politik geschieht jedoch nicht viel. Offenkundig ist, dass auch unsere Sicherheitsbehörden nicht zu glauben scheinen, dass ungarische Grenzzäune und der Türkei-Deal dauerhaft Flüchtlinge davon abhalten werden, auf der Balkanroute nach Westeuropa vorzudringen. Geschlossene Grenzen können eben Flüchtlingsprobleme nicht lösen. Für den Winter befürchteten all unsere Gesprächspartner große humanitäre Probleme alle Flüchtlingslager sind schon jetzt übervoll. Es wird auch bezweifelt, dass Flüchtlinge eine Perspektive im Land haben.

Hilfen für Rückkehrer oder aus Deutschland Abgeschobene? – Fehlanzeige!

Allein aus den beiden Rückführzentren in Bayern in Bamberg und Manching reisten 232 Personen „freiwillig“ nach Serbien aus, 633 in den Kosovo, 139 wurden nach Serbien abgeschoben, 622 in den Kosovo. Insgesamt wurden aus Bayern noch weit mehr Flüchtlinge aus den Gemeinschaftsunterkünften dorthin abgeschoben. 

Während es im Kosovo für die RückkehrerInnen und Abgeschobenen Hilfen und Anlaufstellen gibt, sind die Flüchtlinge aus Serbien – von zwei völlig überfüllten Notwohnungen abgesehen - auf sich alleine gestellt. Entweder hilft Ihnen die Familie oder es hilft wirklich niemand. Manche Roma werden jetzt auch nach 20 oder 25 Jahren aus Deutschland abgeschoben, wenn sie zum Beispiel kein ausreichendes Einkommen haben und auf Sozialhilfe angewiesen sind oder keine besonderen Hinderungsgründe wie Krankheit vorliegen. Eine seit fünfeinhalb Jahren in Deutschland lebende siebenköpfige Romafamilie wurde im Dezember 2015 in das bitterkalte Belgrad abgeschoben. Gegen Mitternacht verließen sie nach einigen polizeilichen Überprüfungen den Flughafen in Belgrad, ohne irgendeine Art von Unterstützung, ohne Netzwerk, welches helfen konnte. Es gibt zwar Haushaltsmittel für 2017 der Bundesregierung für Rückkehrerhilfen in Serbien, und auch eine Ausschreibung von Mitteln für Projekte, für die sich Träger bewerben können, aber derzeit gibt es keine Hilfen. Es ist daher unverantwortbar, dass im Winter Menschen - und schon gar nicht Menschen mit Kleinkindern in ein Land abgeschoben werden dürfen, in dem er oder sie zu erfrieren drohen. 

Abschiebungen und das Geld

Wer nach Deutschland einreist, dem wird das Bargeld abgenommen, um die Unterbringung zu bezahlen, bei der Abschiebung wird Ihnen ebenfalls auch sämtliches Geld abgenommen, wie uns abgeschobene Flüchtlinge berichteten sogar das Baby wurde ausgezogen, um zu sehen, ob Geld in den Windeln versteckt wurde.

Roma in Serbien

Besondere Probleme haben nach wie vor die circa 200.000 Roma, die während des Jugoslawien-Kriegs aus dem Kosovo nach Serbien geflohen sind. Kaum jemand hat von der Restitutionsagentur eine Entschädigung für den Verlust ihrer Häuser bekommen, nur eine kleine Zahl der Fälle wurde bislang bearbeitet. Dabei war die Einrichtung dieser Agentur Bedingung für den EU-Beitritt. Die Vertreibungen aus dem Jugoslawienkrieg wirken fort. Wer in sein Haus in die alten Dörfer zum Beispiel im Kosovo zurückwill, wird bedroht, Steine werden auf Auto und Haus geworfen, falls es gewagt wird, dort sich wieder niederzulassen. Roma aus dem Kosovo, die in den Kosovo abgeschoben wurden, fliehen nach der Abschiebung teilweise nach Serbien, auch wenn sie dort im Elend leben. Eine große Zahl dieser Roma lebt in Serbien unter schwierigsten Verhältnissen. Rund 700 provisorische Roma-Siedlungen befinden sich in Serbien, davon alleine 70 in Belgrad; oftmals ohne Strom, Wasser und Abwasser. Alte ungenutzte Fabrik-, Militärgebäude, ja sogar Gebäude, in denen früher die Nazis KZ-Gefangene unterbrachten, werden als Unterschlupf genutzt. Die materielle Not ist groß. Die Roma, mit denen wir gesprochen haben, erhalten keine Sozialleistungen und sind nicht krankenversichert. Dies trifft auch auf einen Großteil der Romabevölkerung zu. Mangels anderer Einkommen sammeln viele Müll und verkaufen wertvolle Bestandteile, um das eigene Einkommen ein bisschen aufzubessern. Belgrad versuchte die Roma aus dem Stadtbild zu verdrängen, und baute unterirdische Müllkörbe in der schicken Innenstadt, damit diese nicht mehr durchsucht werden können. Die Probleme löst das nicht. Mittlerweile sind diese unterirdischen Müllcontainer  verwahrlost und werden nicht mehr geleert.

Von offizieller Seite hören wir hier, es gibt "Communities", die die neu Ankommenden, nachdem sie zum Beispiel aus Deutschland abgeschoben wurden, aufnehmen. Aber das ist bequemer Selbstbetrug! Für zu viele hat sich kein Weg aus der Armut und aus der Diskriminierung heraus ergeben. Viele waren während dem Jugoslawienkrieg schon mal in Mitteleuropa und versuchen immer wieder trotz Abschiebeerfahrung auf die unterschiedlichste Weise dorthin zu kommen, wo es ihnen schon mal gelungen ist, einen Arbeitsplatz zu bekommen und den Kindern eine Chance auf Bildung zu ermöglichen. Die allermeisten der Flüchtlinge aus Serbien sind Roma, die allermeisten Abgeschobenen auch.

Den Krieg wirklich überwinden

Der Kosovokrieg ist noch sehr präsent in den Köpfen – offizielle Gespräche führen früher oder später immer auf aktuelle Probleme der serbisch-kosovarischen Politik. Oft wird berichtet, dass Kosovo von Serbien nicht als unabhängiges Land anerkannt wird, sondern noch zum serbischen Staatsgebiet zählt. Oder es wird von den Blockaden, den Grenzstreitigkeiten, den Konflikten der Minderheiten oder der Bevormundung des jeweils anderen berichtet. Alltägliche Probleme – wie Armut, Arbeitslosigkeit, fehlende medizinische Behandlung oder schlechte Schulen – bleiben unbeachtet und auch ungelöst. Stattdessen diskutiert man lieber darüber, ob Gemeinden im Kosovo – deren Bewohnerinnen und Bewohner zum Großteil der serbischen Minderheit im Kosovo angehören – eine eigene Verwaltungsgemeinschaft bilden und diese dann eigene legislative Kompetenzen erhalten soll.

Ängste und die Feindseligkeiten wurden in den Köpfen noch nicht abgebaut. Die Fahrt von Belgrad nach Pristina musste mit zwei Busunternehmen erfolgen, jeweils ein serbisches und ein kosovarisches, da es bis jetzt kaum Busunternehmen gibt, die in das jeweils andere Land fahren wollen, aus Angst, Opfer zumindest von Sachbeschädigungen zu werden. In Europa wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges viel unternommen, die vermeintlichen Blutfeindschaften in Freundschaften umzuwandeln, Ängste abzubauen und mithilfe von Sport und Kultur ein auf Dauer friedliches Zusammenleben zu setzen. Als Außenstehender hat man dagegen in Serbien und Kosovo das Gefühl, diese Angst und die vermeintlichen Feindschaften werden auch auf die jungen Generationen übertragen. Nationalisten, die meinen, ihrem Staat stünden weitere Siedlungsgebiete zu, weil dort eben auch eigene Bevölkerung wohne oder zumindest irgendwann dort gewohnt habe, trifft man nicht nur in Serbien, sondern auch in Mazedonien, Bulgarien, Ungarn, Albanien, Kroatien, dem Kosovo und anderswo, und neuerdings auch wieder in der türkischen Regierung. Ein Pulverfass, das mit der Erwartung auf Grenzänderungen explodieren wird.

Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen

Die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen sind die Schritte der EU mit neuen potenziellen Beitrittskandidaten, um die rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen des jeweiligen Staates den Standards der Europäischen Union anzugleichen. Ziel ist es, die nötige Stabilität in dem zwischenstaatlichen Verhältnis zu erreichen, die die Voraussetzung für einen Beitritt ist. Durch das Abkommen sollen „unangenehme Überraschungen“, wie wirtschaftliche Schocks im Hinblick auf die zukünftige Marktintegration mit dem europäischen Binnenmarkt bzw. Rückschritte wirtschaftlicher oder politischer Art in den assoziierten Staaten vermieden werden. Um nicht den Rahmen dieses Berichtes zu sprengen, soll der aktuelle Status in beiden Ländern mit Beispielen verkürzt wiedergegeben werden.

Belgrad, die Hauptstadt Serbiens mit circa 1,7 Millionen Einwohnern, hat keine einzige Kläranlage. Sämtliche Abwässer werden in den Fluss Save geleitet, der in die Donau mündet. Um die Vorgaben der EU im Bereich Umweltschutz und Landwirtschaft zu erfüllen, müssen ein Drittel der Gesetze reformiert werden. Am Beispiel Abwasser heißt dies ganz konkret: Es müssen 320 Kläranlagen in Serbien gebaut werden, bisher wurden 54 Kläranlagen gebaut, davon entsprechen aber nur sechs Anlagen den EU-Standards. Immerhin gibt es dazu eine bayerisch-serbische Zusammenarbeit, auch mit GIZ und der Stadt Augsburg, für die Sanierung der Abwasserreinigung bei Novisad. Insgesamt müssten aber 10,5 Milliarden Euro aufgebracht werden, um die EU-Anforderungen im Bereich Umwelt- und Landwirtschaft umzusetzen. Aufgrund der Verzögerungen hat die EU nun die Fristen für diese Maßnahmen bis zum Jahr 2041 verlängert. Eine Frist, die so lange ist, dass es unwahrscheinlich scheint, dass die jetzige Regierung dies jemals in Angriff nehmen wird, was bedauerlich ist, denn die wunderbare blaue Donau sieht aus der Nähe nicht appetitlich aus, und von diesen Investitionen würden nicht nur die Flüsse, sondern auch die Menschen am Fluss und auch der Tourismus sehr profitieren. Nur fünf Prozent des Mülls wird recycelt, doch gleichzeitig leben viele arme Menschen vom Müll.

Die Lage im Kosovo? Hier ruhen die Gespräche zu den Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen. Es fehlt nach den Berichten der EU-VertreterInnen an Anreizen, den eingeschlagenen Weg der Reformen und Konsolidierungsprozesse fortzusetzen. Politisch schwierige Themen werden vermieden, Reformen werden vertagt, wobei gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf gesamtgesellschaftlich gesehen bedeutungslose Themen gelenkt wird. Ein Beispiel: 70 Prozent der Haushalte im Kosovo heizen mit Feuerholz. Zur Grundsicherungsrente von 80 Euro im Monat gibt es Feuerholzpakete, um Menschen vor dem Erfrieren zu bewahren. Anstatt nun hier mit Sozialreformen anzusetzen oder in den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu investieren oder Anstrengungen zu unternehmen, das total ineffiziente und sie Umwelt verdreckende Braunkohlekraftwerk in Pristina zu modernisieren, hebt die Regierung die Bedeutung der heimischen Wälder hervor und lenkt die Aufmerksamkeit auf den bestehenden Grenzkonflikt mit Montenegro – bei dem es um eine Grenze von 75 Kilometern auf rund 40 Kilometern Luftlinie und vor allem ein rund 6.000 Hektar großes Waldgebiet geht. Einen bizarrer Streit zwischen Serbien und dem Kosovo gibt es auch um eine absolut heruntergewirtschaftetes Bergwerk mit über einer Milliarde Euro Schulden.

Viele Hilfsangebote und Projekte von NGO im Kosovo

Positiv beeindruckt haben uns die vielen Hilfsprojekte, wie beispielsweise das Projekt der Nürnberger AWO in Prizren, DIMAK als Arbeitsmigrationsberatung, GIZ, CIM-Experten in den Ministerien, das Diakonische Werk in Mitrowiza, URA 2 als Rückkehrerhilfsstelle verschiedener Bundesländer (außer Bayern). Die Hilfe des Auslands wird sehr geschätzt, das Ansehen Deutschlands ist hoch, auch durch deren Arbeit.

Erhalten alle diejenigen, die diese Angebote nutzen könnten, die Informationen über diese Angebote auch? Das muss bezweifelt werden. Bei einem Gespräch mit unterschiedlichen Roma-Vertretern waren die Angebote von DIMAK unbekannt, obwohl diese Einrichtung vorbildliche Informationsarbeit macht, dem Roma-Abgeordneten im Parlament schon. Er begrüßt diese Angebote auch, wie er uns in einem Skype-Gespräch mitteilte, doch er gibt die Informationen offenbar nicht an seine Community weiter.

Hilfe für Roma – Wie?

In Gjakova besuchten wir ein ambitioniertes Roma-Wohn-Projekt, bei dem den BewohnerInnen einer abbruchreifen Siedlung respektable Wohnhäuser kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Aber faktisch blieben die Bewohner in einem separaten Wohnviertel unter sich, es gibt nur wenige Arbeitsplätze und die Hoffnung auf Besserung und der Antrieb, zu versuchen, etwas zu verändern, ist auf Seiten der Bewohner und auf Seiten der Gemeinde gering. Die Kinder wirkten teilweise verwahrlost, die Eltern hatten sich scheinbar aufgegeben. Viele der BewohnerInnen leben vom eigenständigen Müllrecyceln. Die Folge: Überall rund um die Siedlung liegen die nicht brauchbaren Müllreste. Ein Goldener Käfig neben dem Müll, am Ende einer nichtbefestigten Straße. Besser wäre es, in Roma-Vierteln Gemeinde- bzw. Quartiersentwicklung zu betreiben, in partizipatorischer und ganzheitlicher Herangehensweise Projekte identifizieren und umsetzen, die zur Verbesserung der Lebenssituation für die Gemeinschaft führen.
Sinnvoll wäre es zum Beispiel auch, dem Krankenhaus eine Krankenpflegeschule anzugliedern und dort Leute ausbilden. Davon hätten die Arbeitslosen etwas und dann könnte man in einem weiteren Schritt, Pflegern und Pflegerinnen die Möglichkeit eröffnen, nach fünf Jahren Arbeit vor Ort  (Verhinderung von Brain-Drain) mit einem Arbeitsvisum nach Deutschland zu gehen. Die Gesundheitsversorgung, vor allem auf dem Land, ist ein großes Problem. Projekte in Wohnen, Gesundheitsversorgung und Bildung werden gebraucht. Zumindest was die Bildung angeht, wird man Ende des Jahres Vergleiche haben – Kosovo macht das erste Mal bei PISA mit. 

Religion

Kirchenvertreter haben wir auf unserer Reise nicht gesprochen – dafür KFOR- und Bundespolizei-VertreterInnen bei den Botschaftsempfängen. Sie waren sehr angetan vom liberalen, europäischen Islam im vorwiegend islamisch geprägten Kosovo. Doch auch hier gibt es wie noch stärker in Bosnien Einflussnahmen radikaler islamischer Kräfte aus dem arabischen Raum und der Türkei.

Visafreiheit in Ferne

Stand März 2015 haben 23 von 28 EU-Mitgliedern den Kosovo anerkannt; 118 UN-Mitglieder von 193. Das SAA (Assoziierungsabkommen) mit der EU wird gegenwärtig verhandelt. Kosovo ist daher das letzte Land aus dem ehemaligen Jugoslawien, dessen BewohnerInnen für alle Auslandsreisen Visa brauchen. Das ergibt erhebliche Probleme, wenn jemand Familienangehörige zum Beispiel in Deutschland  besuchen will, da vorher der Rückkehrwille nachgewiesen werden muss. Wer einen Arbeitsplatz in Deutschland hat und diesen antreten will, muss sich in großer Geduld üben: Erst mal muss die Vorrangprüfung in Deutschland laufen, dann zwei bis drei Monate Wartezeit wegen personeller Überlastung der Botschaft, und dann darf keine Sperrfrist wegen einer Asylantragstellung vorliegen. Das Problem der langen Wartezeiten wurde mittlerweile von deutscher Seite erkannt und es sollen mehr Personal und neue Botschaftsliegenschaften geschaffen werden. Sollte eine Abschiebung bereits vorliegen, müssen die Abschiebekosten erst gezahlt werden, gegebenenfalls müssen für sämtliche Familienmitglieder die Kosten der erfolgten Abschiebung übernommen werden. Das Versprechen über Arbeitsmigration nach Europa zu kommen, statt wie früher über Asyl, erreicht oft gerade die nicht, die zu Hause für sich keine Hoffnung sehen und an den Rand gedrängt sind.

Insgesamt: Wir trafen viele freundliche und sehr engagierte und kompetente Menschen, erfuhren viel positives trotz einer riesigen Menge an Problemen, und sahen viel landschaftliche Schönheit, geeignet für Bioanbau-Projekte und für den Wandertourismus.