Gleichstellung und Queer

Ignoriert und Verdammt: Die Situation queerer Geflüchteter hier und dort

Beide Beine wurden ihm gebrochen; mehrfach wurde sie vergewaltigt, um sie von ihrer Homosexualität zu heilen, und die traurige Erkenntnis auch im vermeintlich sicheren Bayern die eigene Sexualität nicht frei ausleben zu können. Die Berichte junger queerer Geflüchteter sind bedrückend und öffneten Zuhörern mit brachialer Gewalt die Augen über die Situation queerer Geflüchteter – hier und dort. 240 Menschen folgten der Einladung der queerpolitischen Sprecherin der Landtags-Grünen Claudia Stamm im Bayerischen Landtag auf dem diesjährigen Vernetzungstreffen.

08. Juli 2016

Im Zentrum standen mehrere queere Geflüchtete, die auf Deutsch oder mithilfe von Dolmetscherinnen erschreckend - weil so detailliert und offen - über ihre eigenen Erfahrungen berichtet haben, und über die Fluchterlebnisse und die trostlose Situation in Bayern.

Orlando zeigt, dass LGBTI zusammenhalten können und müssen
„Dieses Massaker hat einfach die Community verunsichert, uns alle verunsichert! - zu Recht: Wenn einer so gezielt auf einen für Schwulen und Lesben geschützten Raum losgegeht, und wahllos und fanatisch tötet. Wichtig ist, die Dinge beim Namen zu nennen! Es gilt laut, vernehmlich, und klar sich gegen jede Tendenz zu stellen - die den Rechtsextremen Aufschwung gibt - gerne auch mit Mut und Zuversicht! Wir müssen uns gegen jede Art von Menschenfeindlichkeit stellen! Es gilt unsere Werte (jawohl, unsere Werte) zu bewahren! - und einer der wichtigsten Werte ist die Würde des Menschen, und zwar eines jeden Menschen - ganz egal welche Hautfarbe, Religion - oder keine Religion-  oder sexuelle Orientierung jemand hat! Gemeinsam müssen wir uns denjenigen entgegen stellen, die den vermeintlich Anderen, oder die vermeintlich Andere angreifen - egal ob mit Wort oder Taten angreift“ forderte Claudia Stamm in ihrem Grußwort.

Als Ehrengast nahm Gebi Mair, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Tirol teil und sprach über die Lage in Österreich. „Nach der Verfolgung in ihren Herkunftsländern fehlt auch in der Flüchtlingsbetreuung bei uns in Österreich häufig Sensibilität für das Thema. Oft glauben Geflüchtete deshalb, ihre Identität verstecken zu müssen und nichts von ihrer Fluchtgeschichte erzählen zu können. Die Gründe für eine Flucht sind genauso vielfältig wie die Wege zu einer erfolgreichen Integration bei uns“, so Gebi Mair. Die Situation queerer Geflüchteter ist laut Gebi Mair ein politisches „Nicht-Thema“, dessen Probleme zwar allgemein bekannt sind, jedoch keine Anstrengungen unternommen werden, hier Verbesserungen einzubringen.

Verfolgt und diskriminiert - nicht nur in der Heimat, auch vor Ort in bayerischen Unterkünften
Fünf Geflüchtete waren bereit über ihre eigene Lage zu sprechen. Schnell wurde offensichtlich, dass es für die meisten das erste Mal war, offen in einem freundlichen öffentlichem Umfeld über die eigenen Probleme und Wünsche sprechen zu können. Durch Vorgespräche und in der von der asylpolitischen Sprecherin Christine Kamm moderierten Diskussion gelang es, dass die Geflüchteten unbarmherzig ehrlich über ihre eigene Vergangenheit und die aktuelle Lage sprachen. Zwei Schicksale sollen hier näher beleuchtet werden.

Adam aus Tschetschenien: gefoltert, zweifach diskriminiert, ignoriert und verachtet

Ein tschetschenischer Geflüchteter, nennen wir ihn Adam, floh 2014 aus Russland. In seiner Heimat Tschetschenien – eine autonome Republik der Russischen Föderation – erlebte er Schreckliches. Als sich seine Homosexualität rumsprach, verschleppten ihn mehrere Männer und prügelten und folterten ihn fast zu Tode. Nur durch das Eingreifen seiner Mutter und Mitarbeitern einer nicht staatlichen Organisation konnte Adam gerettet werden. Mit gebrochenen Beinen, Rippen, Prellungen und ausgeschlagenen Zähnen war er fast ein Jahr in medizinischer Behandlung - das berichtete Adam mit gebrochener Stimme beim Treffen, selbst während des Krankenhausaufenthaltes wurden seine Mutter und er bedroht und verfolgt. Die erste Flucht nach Russland machte schnell deutlich, dass seine Lage sich nicht verbessern würde. Die strengen Gesetze Russlands, welche die „Propaganda von Homosexualität“ verbieten, verhinderten Hilfe und machten ein selbstbestimmtes Leben unmöglich. Als Tschetschene litt er zudem unter einer doppelten Diskriminierung. Auch nach seiner Flucht nach Deutschland wird er diskriminiert - in seiner Asylbewerberunterkunft bei Nürnberg. Adam meldete dies den Mitarbeitern der Unterkunft, dem Landratsamt und den Sachbearbeitern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Alle ignorierten dies und seinen Wunsch, in eine sichere Unterkunft verlegt zu werden. Nur durch den unermüdlichen Einsatz ehrenamtlicher Helfer konnte er aus der Unterkunft ausziehen. Adam wartet seit mehr als zwei Jahren auf die Entscheidung in seinem Asylverfahren. Bis heute hat das BAMF nicht in seinem Fall entschieden. Obwohl er gut ausgebildet ist, darf er nicht arbeiten. Obwohl ihm Sprachkurse verweigert wurden, kann er gut Deutsch – er trägt seine Schicksalschläge auf Deutsch vor – meist mit gebrochener Stimme. Was sich Adam wünscht? Dass endlich sein Asylantrag angenommen wird. Er will arbeiten und in richtigen Sprachkursen Deutsch lernen. Er will ein unabhängiges selbstbestimmtes Leben führen. Nichts besonderes – eigentlich! Die Erfahrung, dass ihm deutsche Behörden genauso wenig geholfen haben, wie ihre russischen Pendants, war sehr einschneidend für Adam.


Jana aus Uganda: vergewaltigt, verfolgt und isoliert
Nennen wir die junge Geflüchtete Jana. Jana stammt aus Uganda. Uganda wurde vor allem 2014 für die Einführung eines Anti-Homosexuellen-Gesetzes international kritisiert, dessen schärfste Einschnitte durch das Verfassungsgericht aufgrund eines Formfehlers gekippt wurde. Homosexuelle Handlungen sind dennoch strafbar, gleichgeschlechtliche Ehen sind explizit verboten. Während in der Hauptstadt Kampala queere Aktivist*innen aktiv sind (wenn auch nur sehr begrenzt), ist die Lage für LGBTI-Personen im restlichen Land katastrophal. Jana beschreibt ihr Heimatland kurzum als kaputt. Korruption, religiöser Eifer und fehlende Infrastruktur in Verbindung mit großer Armut machen es so schon schwer, in Uganda zu leben. Als LGBTI wird diese Situation noch schlimmer. Jana wurde mehrfach Opfer von sogenannten „korrektiven Vergewaltigungen“. Dabei soll die Homosexualität von lesbischen Frauen dadurch geheilt werden, indem sie vergewaltigt werden, und ihnen dadurch gezeigt werden soll, dass heterosexueller Geschlechtsverkehr ‚normal‘ und gut ist. Medienkampagnen, die gegen Homosexuelle hetzen und Zwangsoutings vollführen, zerstören darüber hinaus jedes Selbstvertrauen in die eigene sexuelle Orientierung. Jana sprach auch über ein weiteres Tabu-Thema: über die Kinder, die aus diesen Vergewaltigungen entstehen. Jene lesbischen Mütter werden oft doppelt diskriminiert und angegriffen, da sie sich nicht nur für ihre sexuelle Orientierung rechtfertigen, sondern auch erklären müssen, wie lesbische Frauen denn überhaupt Kinder kriegen können, ungeachtet der Tatsache, dass allgemein bekannt ist, wie die Kinder gezeugt wurden.

Die Hoffnungen Janas, nach ihrer Flucht nach Deutschland ein selbstbestimmtes und diskriminierungsfreies Leben führen zu können, wurden schnell zunichtegemacht. In der Asylbewerberinnenunterkunft war schnell klar, dass sie nicht offen über ihre eigene sexuelle Orientierung sprechen konnte. Sie auszuleben ist noch unmöglicher. Andere Frauen aus Afrika und Uganda aber auch aus anderen Ländern haben schnell deutlich gemacht, was sie von LGBTI denken. Der einzige Weg, nicht diskriminiert zu werden ist das Verschweigen und Verheimlichen. Jana spielt also heterosexuell zu sein. Erst nach sechs Monaten wurde sie auf die Lesbenberatung LeTra aufmerksam und traute sich, dort um Hilfe zu bitten. Für Jana steht fest, dass die Situation als Geflüchtete schon schlimm genug ist, dann noch eine LGBTI-Geflüchtete zu sein, macht die eigene Lage und das eigene Leben kaum erträglich. Ohne Hilfe wäre Jana nach eigenen Worten untergegangen und schloss ihren Beitrag mit der eindringlichen Bitte, an uns alle, eines zu tun, nämlich: ZU HELFEN!



Die Welt ist eng für queere Geflüchtete

Sascha Hübner vom Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum München beschrieb die internationale Lage kurz und knapp: Die Welt ist sehr eng für queere Geflüchtete. Das Strafmaß geht von Geldstrafen über teilweise erhebliche Haftstrafen (bis 25 Jahre), öffentliche körperlichen Misshandlungen (Stock- und Peitschenhiebe) bis hin zur Todesstrafe. Die Rechtsanwältin Gisela Seidler ergänzte und berichtete über die internationale Lage und forderte, dass der Fluchtgrund sexuelle Orientierung und der Status als besonders vulnerable Gruppe anerkannt werden muss. Rita Braaz von der Lesbenberatung LeTra schloss ihren Bericht über die Arbeit als ehrenamtliche Helferin in der Asylpolitik mit der klaren Forderung, dass sich die Politik ungeachtet der eigenen Parteiinteressen endlich auf den Weg hin zu einem menschenwürdigem Asylverfahren machen müsse.

Beratungsangebote und eigene Einrichtungen für queere Geflüchtete
"Queere Geflüchtete haben zu allen anderen Gründen für eine Flucht noch einmal besondere: Oft müssen sie schon aufgrund ihrer sexuellen Orientierung um ihr Leben fürchten. Deswegen muss diesem Asylgrund bei uns ein stärkeres Gewicht verliehen werden“, erklärt Claudia Stamm und fordert eigene Einrichtungen in Bayern, um queere Geflüchtete vor weiterer Diskriminierung und Bedrohung zu schützen: „Bisher gibt es nur eine Unterkunft – eingerichtet von Ehrenamtlichen – in Nürnberg. Alternativ sollen queere Geflüchtete dorthin kommen können, wo Beratungsangebote vorhanden sind.“

Der Spagat zwischen dem sehr bewegenden inhaltlichen Teil und dem eher fröhlichen Vernetzungstreffen im Anschluss gelang mithilfe der Musik von den Bayerischen Löwen, die gekonnt den Übergang geschaffen haben. Bis spät in die Nacht fand die Vernetzung statt: Gäste mit den Referent*innen, Abgeordneten und Geflüchteten, tauschten sich andere Aktive und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer in den historischen Räumen des Maximilianeums aus. Es gab viel positive Rückmeldung aus der community genau dieses Thema aufzugreifen. Danke an alle, die mitgewirkt haben!





Hier geht es zum Interview mit Claudia Stamm, MdL, Keith King, Geflüchteter aus Uganda und Frenessys Sahory Reyes, Trans*Aktivist*in aus Honduras:


Impressionen: