Soziales | Gesundheit | Pflege

Kita-System vor dem Kollaps

Expert*innen-Anhörung am Do., 4.7.

01. Juli 2024

Unser Kita-System steht kurz vor dem Kollaps. Erzieherinnen und Erzieher arbeiten am Anschlag, Trägern fehlt Geld und Personal, für Kinder und Eltern vergeht kaum eine Woche ohne Ausfall bei den Betreuungszeiten oder sogar Gruppenschließungen. Es muss jetzt etwas passieren. Eine Reform des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG) ist überfällig.

 

  • Am Donnerstag, 4.7., 9:15 Uhr – 14:00 Uhr findet nun auf Initiative der Landtags-Grünen im Sozialausschuss die Expertinnen- und Expertenanhörung „Kita-Reform in Bayern (BayKiBiG)“ statt (Tagesordnung mit Verzeichnis der Sachverständigen). Der Fokus liegt insbesondere auf einer dringend benötigten Reform der Kita-Finanzierung. Die Landtags-Grünen haben folgende Sachverständige vorgeschlagen:

Pfarrer Dr. Andreas Magg, Landes-Caritasdirektor, Deutscher Caritasverband, Landesverband Bayern e.V.

Christiane Münderlein, Vorständin Bildung und Soziales, Evangelischer KITA-Verband Bayern e.V und

Dr. Alexa Glawogger-Feucht, Geschäftsführerin, Verband katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern e.V.

 

Im Bereich der Kinderbetreuung in Bayern müssen endlich die Grundziele erreicht werden, nämlich eine Verlässlichkeit der Betreuung, die Bezahlbarkeit der Kita und die Qualität der Betreuung. Die derzeitige Gesetzeslage und Finanzierung der Kinderbetreuung verfehlt alle diese Ziele. Mit verheerenden Folgen – kurzfristig wie langfristig. Daher braucht es dringend eine Reform des BayKiBiG. Denn zum einen ist die frühkindliche Bildung ein wichtiger Schlüssel für mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit – Ungleichheiten bei der Bildung entstehen oft schon lange vor der Grundschule, das zeigte auch die jüngste Pisa-Studie. Zum anderen ist die Berufstätigkeit von Frauen entscheidend, um den großen Fachkräftebedarf zu decken.* Von erwerbstätigen Müttern mit Kindern unter 6 Jahren in Bayern arbeiten nahezu 80 Prozent in Teilzeit (s. Antwort Anfrage Post 1). Hier gibt es viel Potential aufzustocken, wenn die Kinderbetreuung gesichert ist.

* Hinweise: Mütter nennen die Betreuung von Kindern als Hauptgrund für ihre reduzierte Arbeitszeit. Zugleich liegt der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen für unter 3-jährige bis 5-jährige noch immer höher als das Angebot, siehe: Pressemitteilung (bayern.de) und projektbericht_43_entwicklung_personal-_und_kinderzahlen_webversion.pdf (ifp.bayern)

 

Weitere Antworten auf Grünen-Anfragen offenbaren: Die Söder-Regierung sieht keinen direkten Zusammenhang zwischen der finanziellen Ausstattung einer Kita und der Zahl der Beschäftigten im Verhältnis zur Anzahl der betreuten Kinder und der Qualität der Einrichtung (s. AW Anfrage Post 2). Und: Der Staatsregierung liegen keine Erkenntnisse über die finanziellen Verhältnisse der Träger vor (s. AW Anfrage Birzele).

 

 

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, sagt:

„Eine Gesetzesreform ist eine echte Chance, das Ruder nochmal rumzureißen. Leider aber auch die letzte Chance, denn unser Kita-System steht kurz vor dem Kollaps. Über Jahre hat die Söder-Regierung alle Hilferufe aus Kommunen, Einrichtungen, von Familien und Beschäftigten ignoriert. Statt Investitionen in eine gute Ausbildung und bessere Arbeitsbedingungen, gab es blumige Worte und PR-Nebelkerzen. Nun läuft die pädagogische Arbeit an der absoluten Belastungsgrenze, Gruppen schließen, Betreuungsplätze sind Mangelware. Für die Eltern wankt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und viele Kinder können hauptsächlich nur noch betreut werden, die Bildungsarbeit leidet. Ich hoffe sehr, dass die Söder-Regierung endlich mit all den vielen betroffenen Menschen in Bayern an einem Strang zieht und willens ist, Lösungen zu finden.“

 

„Die angespannte wirtschaftliche Lage ist gerade ein großes Thema für die Staatsregierung. Dann sollte sie aber auch erkennen, dass sie mit ihrer Familien- und Sozialpolitik dazu beiträgt. Eine funktionierende Versorgung der Kleinsten oder Ältesten ist die Basis, damit wir erfolgreich sein können. Es ist haarsträubend, welches Potential uns in Bayern jeden Tag durch die Lappen geht, weil gut qualifizierte Eltern nicht ihre Kompetenz in den Arbeitsmarkt einbringen können, wie sie gerne wollen – einfach nur, weil Betreuungszeit ausfällt oder es an Plätzen fehlt. Das ist nicht nur ungerecht, sondern volkswirtschaftlich eine Katastrophe! Wer will, dass wir innovativ bleiben, dass wir arbeiten können, dass wir unseren Wohlstand halten können, der muss auch auf familienpolitischen Feldern investieren.“

 

Julia Post, Sprecherin für Frauen, Jugend und den öffentlichen Dienst, sieht gewaltige Defizite im Umgang der Staatsregierung mit der Situation:

„Ministerpräsident und Familienministerin reihen einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt an den nächsten, aber echte Lösungen liefern sie nicht. Sie erfassen die dramatische Lage offenbar nicht einmal. Beispielsweise erkennt die Staatsregierung nicht, dass sich der schmale Geldbeutel einer Kita direkt auf Personallage und Qualität der Betreuung auswirkt. Die Finanzen der Träger sind für sie sogar eine Black Box. Um eine verlässliche, bezahlbare und gute Kinderbetreuung für Bayern zu erreichen, muss die Staatsregierung erst einmal herausfinden, ob dieses Ziel durch ihr Handeln auch erreicht werden kann. Wenn Experten davon sprechen, dass etwa ein Drittel der Gemeinden die Finanzierungslücken, die den Trägern entstehen, nicht schließen können oder wollen, dann ist das ein Problem, das eine verantwortungsvolle Landesregierung dringend lösen muss!“

 

„Die Reform des Kita-Gesetzes ist überfällig. Wir müssen die Finanzierung auf komplett neue Beine stellen und sie für die Kommunen verlässlich machen. Der finanzielle Rahmen muss dem Ziel einer guten Kinderbetreuung gerecht werden und zugleich die Familien nicht zu stark belasten. Eltern wünschen sich in Zeiten hoher Lebenshaltungskosten bezahlbare Gebühren und, dass ihre Kinder in besten Händen sind. Uns fehlen aber bis zum kommenden Jahr schon über 13.500 Fachkräfte in Bayern. Diese gewinnen wir nur, wenn wir ihnen auch gute Arbeitsbedingungen bieten.“ 

 

„Es fehlt an Kita-Plätzen, das ist kein Geheimnis. Über die Ursache sprechen Söder und Co. aber ungern – den Fachkräftemangel. Hier muss die Staatsregierung anpacken! Teils wäre das ganz einfach, man muss sich nur die Arbeitsbedingungen anschauen. Zum Beispiel: Eine Kinderpflegerin erhält in ihren ersten beiden Ausbildungsjahren kein Gehalt! Was für eine schreiende Ungerechtigkeit. Wenn wir allein so etwas verbessern, lässt sich auch mehr Fachpersonal gewinnen.“  

 

 

Hintergrund:

Die Grüne Fraktion im Bayerischen Landtag hat am 11. April 2024 einen wichtigen Schritt für die Zukunft der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) in Bayern erreicht. Der Grünen Antrag, eine Expertinnen- und Expertenanhörung zur Zukunft des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG) durchzuführen, wurde im Sozialausschuss einstimmig beschlossen. Auch die Fraktionen von CSU und Freien Wählern haben die Notwendigkeit zu Handeln erkannt und sich dem Grünen Anliegen angeschlossen. Der Fokus liegt insbesondere auf einer dringend benötigten Reform der Kita-Finanzierung. Denn nur so kann endlich eine verlässliche Finanzierung für Träger sowie bezahlbare Kinderbetreuung für Eltern erreicht werden. Die Anhörung setzt sich zum Ziel, die pädagogische Qualität in bayerischen Kindertageseinrichtungen zu sichern und weiterzuentwickeln. Die aktuellen Herausforderungen im System der FBBE können nicht mehr wirksam durch das bisherige Gesetz bewältigt werden.