Rechtsextremismus

40 Jahre Oktoberfestattentat

Bayern muss endlich seiner Verantwortung für die Opfer rechten Terrors gerecht werden

22. September 2020

Beim Oktoberfestattentat vom 26.September 1980 handelt es sich um den größten rechtsextremen Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. Durch eine am Haupteingang des Oktoberfestes explodierte Bombe kamen 13 Menschen ums Leben und über 200 wurden verletzt, viele davon schwer.
Auch der Bombenleger Gundolf Köhler, ein 21-jähriger Student mit engen Verbindungen in die rechtsextreme Szene, wurde bei dem Anschlag getötet. Er wurde von den ermittelnden Behörden sehr schnell als Einzeltäter dargestellt. Die Tat sollte er angeblich aus persönlichen Motiven begangen haben. Mögliche politische Motive Köhlers und seine engen Verbindungen in die rechtsextreme Szene wurden von den Sicherheitsbehörden weitgehend ignoriert. Köhler hatte Kontakte zur rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann, die 1980 vom Bundesinnenministerium verboten wurde, war Mitglied in der ebenfalls später verbotenen ‚Wiking-Jugend‘ und hat an NPD-Versammlungen teilgenommen. Hinweisen von Zeugen auf mögliche Mittäter und Mitwisser wurde nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit nachgegangen. Bereits 1982 wurden die Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt eingestellt.
Schon damals wurden von kritischen Journalisten, Anwälten und den überlebenden Opfern und Hinterbliebenen gewichtige Zweifel am Ermittlungsergebnis geäußert. Doch alle Versuche, eine Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erreichen, blieben zunächst erfolglos. Nachdem im Jahr 2011 durch die Selbstenttarnung des ‚Nationalsozialistischen Untergrunds‘ (NSU) offenbar wurde, dass die Sicherheitsbehörden über zehn Jahre die Existenz einer rechten Terrorgruppe nicht erkannt haben, forderten auch der Bayerische Landtag und der Münchener Stadtrat mit Beschlüssen die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Aufgrund zahlreicher offener Fragen und ungeklärter Spuren sowie neuer Beweismittel, beantragte der Opferanwalt Werner Dietrich 2014 zum dritten Mal die erneute Wiederaufnahme der Ermittlungen. Diesmal mit Erfolg.
Am 11. Dezember 2014 hat die Bundesanwaltschaft ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am 6. Juli 2020, fast sechs Jahre später, stellte der Generalbundesanwalt das Verfahren erneut ein. Trotz umfangreicher Ermittlungen, Spurenauswertungen und Zeugenvernehmungen konnten 40 Jahre nach der Tat mögliche Mittäter, Hintermänner oder Mitwisser nicht mehr mit der erforderlichen Gewissheit ermittelt werden. Viele Zeug*innen leben mittlerweile nicht mehr und wichtige Asservate wurden bereits vor langer Zeit vernichtet. Die eklatanten Versäumnisse der Vergangenheit ließen sich deshalb nicht wieder gut machen.
An einem wichtigen Punkt musste der Bundesanwalt seine Einschätzung aus der Vergangenheit trotzdem korrigieren. Nach 40 Jahre wird das Oktoberfestattentat nun endlich als rechtsextremer Anschlag eingestuft. Die Ermittlungen haben eindeutig ergeben, dass der Täter aus politischen Motiven gehandelt hat und einen Terrorstaat nach nationalsozialistischem Vorbild aufbauen wollte. Köhler wollte mit dem
Anschlag offenbar die kurze Zeit später stattfindende Bundestagswahl beeinflussen, bei der Franz-Josef Strauß als Kanzlerkandidat der Union angetreten ist. Das Attentat sollte laut den Aussagen von Freunden Köhlers linken Terrorgruppen in die Schuhe geschoben werden, um den Ruf nach einem starken Staat mit einer autoritären Führung zu bestärken. Damit reiht sich das Oktoberfestattentat nun auch offiziell in die verheerende Geschichte rechtsextremer Anschläge in Deutschland ein. Dies betrifft leider auch die Häufung fataler Fehler bei der politischen Einordnung und Aufklärung und die vielen offenen Fragen zu den Hintergründen der Anschläge.
Zum 40.Jahrestag des Attentats ist es nun an der Zeit, dass die politisch Verantwortlichen ihrer historischen und moralischen Verantwortung gerecht werden und aus der Neubewertung der Tat als rechtsextremen Terror nun auch die erforderlichen politischen Konsequenzen ziehen.


Umfassende Hilfen und eine angemessene Entschädigung für die Opfer und Hinterbliebenen des Attentats

Viele Betroffene leiden bis heute unter den physischen und psychischen Spätfolgen des Attentats. Viele Schwerverletzte haben dutzende Operationen hinter sich bringen müssen. Einige sind dauerhaft auf Rollstuhl, Prothesen und andere medizinische Hilfsmittel wie Gehhilfen oder orthopädische Schuhe angewiesen. Andere leiden unter dauerhaften Schmerzen und den psychischen Folgen des Attentats. Sie benötigen Medikamente oder eine psychologische Betreuung. Über notwendige Hilfsleistungen müssen sich die Betroffenen teilweise seit Jahrzehnten mit den zuständigen Krankenkassen und Versorgungsämtern streiten. Kosten für eine Psychotherapie, für technische Hilfsmittel, für notwendige Kuren oder Rehaleistungen werden häufig nicht anerkannt. Viele Opfer und Hinterbliebene fühlen sich deshalb durch Politik und Gesellschaft allein gelassen. Ihre Forderungen, Anliegen und Wünsche müssen nun endlich ernst genommen werden.
Der Zugang zu den Bundesfonds für die Opfer rechter Gewalt, wurde den Betroffenen bisher mit der Begründung verwehrt, dass es sich beim Oktoberfestattentat nicht um einen politisch motivierten Anschlag handelt. Diese skandalöse Praxis des Bundesamtes für Justiz muss umgehend beendet werden. Aufgrund der besonderen Schwere der Tat muss den Opfern und Hinterbliebenen ein Zugang zu den erst später eingerichteten Hilfsfonds ermöglicht werden.
Die Söder-Regierung muss hier ihrer historischen, politischen und moralischen Verantwortung für die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit gerecht werden und das jahrzehntelange Leiden der Betroffenen anerkennen. Nach dem Vorbild der Landeshauptstadt München, die bereits finanzielle Hilfen bereitstellt, muss auch der Freistaat mit einem eigenen Hilfsfonds wenigstens eine kleine ‚symbolische Wiedergutmachung‘ leisten. Dies wäre auch ein wichtiges Signal der Anerkennung und des Respekts gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen.


Grüne Forderungen

Die GRÜNE Landtagsfraktion fordert umfassende Hilfen für die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden des Attentats. Ein entsprechender Dringlichkeitsantrag wird diese Woche in den Landtag eingebracht.
Insbesondere fordern wir:
• Die politische Anerkennung und historische Würdigung des Oktoberfestattentats als schwerwiegendsten rechtsterroristischen Anschlag in der Geschichte der Bundrepublik. Aus der Neubewertung der Tat durch die Bundesanwaltschaft müssen nun auch die notwendigen politischen Konsequenzen gezogen werden. Die haarsträubenden Versäumnisse bei der Aufklärung der politischen Motive der Tat, möglicher Hintermänner und Tatbeteiligter aus der rechtsextremen Szene und der fahrlässige Umgang mit wichtigen Beweismitteln und Zeugenaussagen dürfen sich bei zukünftigen rechten Terroranschlägen nicht wiederholen.

• Den überlebenden Opfern und Hinterbliebenen des Attentats muss nun endlich der Zugang zu den Leistungen aus den Bundesfonds für rechte Terroropfer und Opfer extremistischer Gewalttaten eröffnet werden. Hierfür muss sich die Staatsregierung mit Nachdruck gegenüber der Bundesregierung und dem zuständigen Bundesamt für Justiz einsetzen.

• Die Betroffenen brauchen schnelle finanzielle Hilfen und Entschädigungen für jahrzehntelanges Leid. Der Freistaat muss hier seiner politischen Verantwortung gerecht werden und eigene finanzielle Mittel bereitstellen. Wir fordern deshalb einen eigenen bayerischen Entschädigungsfonds für die Opfer und Hinterbliebenen des Oktoberfestattentats. Der Fonds sollte nicht auf Sachleistungen gründen, sondern den Betroffenen unbürokratische finanzielle Leistungen zur Linderung der langfristigen physischen, psychischen und materiellen Spätfolgen des Attentats bieten.