Rechtsextremismus

Fachgespräch: OEZ-Attentat als rechtsradikales Verbrechen einordnen

Die Aufarbeitung des schrecklichen Attentats am Münchener Olympia-Einkaufszentrum ist auch nach zwei Jahren danach noch nicht abgeschlossen. Der Attentäter, David S., hatte damals neun Menschen getötet und etliche verletzt. Bei einem Fachgespräch im Bayerischen Landtag diskutierten wir über die Bewertung des Tatmotives, die Auswirkungen auf die Opferberatung und die öffentliche Erinnerung.

Christine Umpfenbach, Münchner Opferberatungsstelle BEFORE, Katharina Schulze, MdL, Prof. Dr. Christoph Kopke, Gutachter der Landeshauptstadt München (v.l.n.r.)

01. August 2018

Am 22. Juli 2016 erschoss David S. am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München neun Menschen und verletzte etliche – fast alle von ihnen hatten Migrationshintergrund. Die Aufarbeitung der schrecklichen Tat ist bis heute noch nicht abgeschlossen.

Polizei und Staatsanwaltschaft gingen in ihrem offiziellen Abschlussbericht im März 2017 davon aus, dass die Tat nicht politisch motiviert war, sondern persönliche Gründe hatte (Mobbingerfahrungen, psychische Probleme). Im Nachhinein wurden – vor allem auch durch Nachfragen der Grünen Landtagsfraktion - Ermittlungsdetails bekannt, die diese Bewertung in Frage gestellt haben und auf eine rassistische Motivation des Täters schließen lassen. Außerdem widerlegten drei von der Landeshauptstadt München in Auftrag gegebene Gutachten im Oktober 2017, dass Mobbing das maßgebliche Tatmotiv von David S. gewesen ist. Und seit kurzem gibt es Hinweise über Verbindungen von David S. zu einem rechten Amokläufer in den USA in einer rechtsgerichteten Gruppe ("Anti-Refugee Club") auf der Spieleplattform Steam im Internet.
Anlässlich des Jahrestages haben wir im Bayerischen Landtag über die Bewertung des Tatmotives sowie über die Auswirkungen auf die Opferberatung und die öffentliche Erinnerung an das Attentat diskutiert. Gäste des grünen Fachgesprächs von Katharina Schulze waren Christoph Kopke, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht und einer der Gutachter der Landeshauptstadt München, sowie Christine Umpfenbach von der Opferberatungsstelle Before in München.

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Fraktion begrüßte unter unseren Gästen auch eine Angehörige, die ihren Sohn am OEZ verloren hat. Katharina Schulze erinnerte zu Beginn daran, dass der 22.7.2016 ein Tag war, der den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt München sehr weh getan hat. Die Tat müsse deshalb richtig aufgeklärt werden. Wir als Grüne Landtagsfraktion würden dabei nicht lockerlassen. Schon von Anfang an war für uns klar, dass die Einschätzung der CSU-Regierung, der Anschlag ließe sich allein mit den Mobbingerfahrungen des David S. erklären, so nicht stimmen kann.

Für Christoph Kopke, der das Attentat im Auftrag der Landeshauptstadt München begutachtet hat und dazu Einblick in die Ermittlungsakten nehmen konnte, war eines frappierend: Die Bayerische Polizei hat den Fall sehr umfassend und sauber aufgearbeitet. Alle Fakten liegen auf dem Tisch. Nur es wurden dann die falschen Schlüsse gezogen, sagte Christoph Kopke. Er stellte dem Publikum vor, welche Belege für eine Tat aus persönlichen Motiven bzw. aus politischen Motiv existieren. Aus seiner Sicht ist die Tat klar als politisch motivierte Kriminalität von rechts (PMK-rechts) einzuordnen. Dafür sprechen u.a. die nachgewiesene rechtsextreme bzw. rassistische Gesinnung des Täters und seine ausgeprägte „Vorliebe“ für Anders B. Breivik, dem norwegischen Rechtsterroristen und Massenmörder. Vor allem suchte David S. seine Opfer nach rassistischen Kriterien aus. Christoph Kopke ging auch auf neuere Erkenntnisse bezüglich des rechtsextremen Waffenhändlers Philipp K. und die Kontakte von David S. zu anderen Rassisten im Internet ein. Das seien alles wichtige neue Indizien.

An der behördlichen Einschätzung der Tat kritisierte Christoph Kopke insbesondere, dass die CSU-Regierung kategorisch zwischen Amoktat und terroristischen Attentat unterscheidet. Das sei wissenschaftlich überholt. Auch ist für Christoph Kopke die Festlegung auf ein einziges Hauptmotiv falsch. Tatmotive greifen oft ineinander. Das hat eine Neubewertung umstrittener Altfälle Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990 durch die dortige Landesregierung gezeigt, die auf eine Untersuchung von Christoph Kopke und Kolleginnen und Kollegen des Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam zurückgeht.
Christoph Kopke machte mit Blick auf David S. klar, dass psychische Probleme bzw. Mobbing und ein terroristisches Attentat kein Widerspruch seien. Rassismus sei oft eine Strategie, um das eigene Scheitern zu erklären. Das diese Woche veröffentlichte Gegengutachten der Gießener Kriminologin Britta Bannenberg, welche die Tat im Auftrag des Bayerischen Landeskriminalamt bewertet hat, enthält in dieser Hinsicht einige irritierende Aussagen. An der bisherigen amtlichen Bewertung des Attentats durch die CSU-Regierung sei aber vor allem nicht nachvollziehbar, dass nach der offiziellen Definition des PMK-Systems psychische Probleme des Täters bei der Einordnung einer Tat gerade nicht zu berücksichtigen sind. Das PMK-System wird also in Bayern nicht richtig angewandt.

Warum es letztendlich dazu kam, dass die bayerischen Behörden den Anschlag am OEZ als nicht politisch motiviert bewerten, ist für Christoph Kopke unklar. Es könne nur vermutet werden, dass es sich dabei um eine politische Entscheidung handelt, insbesondere, dass die CSU-Regierung steigende Fallzahlen im Bereich der PMK-rechts verhindern möchte. Es sei aber besser für eine Gesellschaft, solche Taten anzuerkennen. Statt auf Definitionstricks zu setzen sollten die Ursachen solcher Anschläge analysiert werden.
Für Christine Umpfenbach zeigt die tägliche Arbeit in der Opferberatung bei Before München, dass den Angehörigen der OEZ-Opfer und den Verletzten die richtige Einordnung der Tat sehr wichtig ist. Der Täter soll nicht als Kranker hingestellt werden. Die Betroffenen wünschen sich, dass die Motivation klar benannt und die Tat nicht entpolitisiert wird. Auch für die öffentliche Erinnerung an den Anschlag ist die korrekte Einordnung der Tat genauso wichtig wie der Gedenkort selbst. Nur wenn die Tat vollständig aufgearbeitet ist, kann man künftig richtig erinnern und aufklären. Dabei ist für Before München klar, dass, weil am 22.7.2016 eine bestimmte Gruppe von Menschen Ziel des Anschlags war, die Grundlagen der demokratischen Gesellschaft angegriffen wurden.

Anschließend diskutierte das Publikum mit unseren Referentinnen und Referenten. Die Angehörigen von betroffenen Familien machten eindrücklich ihre Sicht der Dinge deutlich: „Wir wollen Gerechtigkeit, denn es kann wieder passieren.“ Ein Gast wies darauf hin, dass solche Attentate wie damals am OEZ nicht im luftleeren Raum stattfinden würden, sondern auch mit aktuellen politischen Debatten zu tun haben. Eine weitere Frage, die diskutiert wurde, war, warum aktuell in Politik und Öffentlichkeit zwischen verschiedenen Arten von Terrorismus derart unterschieden wird. So spielte es bei der Einordnung islamistischer Anschläge bislang kaum einer Rolle, ob die Täter auch psychische Probleme hatten. Für Christoph Kopke hängt die öffentliche Debatte schief. Statt über verwirrte Einzeltäter muss stärker darüber gesprochen werden, warum eine Gesellschaft Attentäter hervorbringt. Warum wird aus einem Jugendlichen ein Killer?

Auch für Katharina Schulze und die Grüne Landtagsfraktion geht es bei der Einordnung des Anschlags nicht um die Statistik, sondern darum aus der Tat die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wichtig ist die Frage, wie wir eine Gesellschaft erreichen, in der nicht diskriminiert wird. Wir Grüne wollen dazu die Zivilgesellschaft stärken. Wir fordern mehr Prävention und eine bessere politische Bildung. Dafür werden wir gemeinsam mit der Zivilgesellschaft weiter arbeiten an einem guten, offenen und bunten Bayern. Die CSU-Regierung muss den Anschlag als rechtsextremistisch bzw. rassistisch motiviert anerkennen und als politisch motivierte Kriminalität von rechts in die Kriminalstatistik aufnehmen. Dadurch wird man vor allem auch den Opfern, ihren Angehörigen und den Verletzten - 2 Jahre nach dem schrecklichen Anschlag - endlich gerecht.


 

Unsere Grünen Forderungen:

  • Die derzeit noch laufende Neubewertung der Tat durch das LKA muss zügig beendet und ein endgültiger Abschlussbericht vorgelegt werden
  • Das OEZ-Attentat, dem neun Menschen zum Opfer gefallen sind, ist als rechte Gewalt klar zu benennen und die Tat in der polizeilichen Kriminalstatistik entsprechend einzustufen. Es gibt genügend Indizien, die ins rechtsextreme Milieu zeigen. Das schließt nicht aus, dass auch Mobbing eine Rolle gespielt hat
  • Wir fordern, künftig konsequent und entschieden gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus in unserer Gesellschaft vorzugehen
  • Wir fordern eine intensivere Mobbingprävention
  • Der Radikalisierungsprozess des OEZ-Amokläufers ist umfassend aufzuarbeiten