Verbraucherschutz braucht eine solide Gesetzesgrundlage

Die Lebensmittelüberwachung in Bayern ist seit dem Bayern-Ei-Skandal immer wieder Gegenstand von Kritik. Nicht zuletzt hat der Oberste Bayerische Rechnungshof (ORH) in einem Gutachten diverse Defizite festgestellt. Vor allem die Effizienz der Überwachungsbehörden sollte verbessert werden. Das war auch die Erkenntnis aus dem Untersuchungsausschuss „Bayern-Ei“ des Bayerischen Landtags.

Die Staatsregierung installierte daraufhin eine zentrale Kontrollbehörde, die KBLV. Das ist die Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen mit Sitz in Kulmbach. Weitere Niederlassungen gibt es in Erding, Buchloe und ein weiterer Sitz soll im Nürnberger Land dazu kommen.
Von Anfang an gab es Zweifel an der eindeutigen Zuständigkeit dieser Behörde. Denn der Gesetzgeber hat diese nicht klar definiert, sondern nur von „Betrieben, deren Überwachung spezialisierte Fähigkeiten voraussetzt“ gesprochen, ohne dies eindeutig festzulegen. Dies wurde an die Exekutive delegiert, die dazu eine Verordnung erließ. Leider war das Ergebnis sehr mangelhaft.
Welche Betriebe nun tatsächlich betroffen waren, erfuhren diese erst, als die KBLV sich bei ihnen meldete und ihre Zuständigkeit erklärte. Die KBLV hat sich also selbst die Betriebe ausgesucht, für die sie zuständig sein wollte. Dies erfolgte mit Hilfe eines sog. Zustellungsfeststellungsbescheids.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hatte sich in mehreren Beschlüssen so eindeutig gegen die Rechtmäßigkeit dieser Praxis geäußert, dass die StReg die Reißleine ziehen musste. Zum 1. März 2020 gab es deshalb folgende Änderungen:

1.    Die von der Verwaltung geänderte Verordnung legt nun Produktionsmengen fest, ab denen der Betrieb als überregional zu gelten hat und damit automatisch in die Zuständigkeit der KBLV fällt.
2.    Die KBLV informiert diese Betriebe nur noch über den Wechsel der Zuständigkeit. Nach wie vor wird allerdings die Zuständigkeit nur durch die Verwaltung geregelt und nicht durch den Gesetzgeber. So hatte das auch das VG Regensburg in einer ausführlichen Begründung angemahnt. Gesetze müssten ausreichend bestimmt sein, und zwar durch den Landtag, nicht durch die Exekutive.
Steht die KBLV nun auf rechtssicherem Boden? Wir Landtags-Grüne wünschen uns das ausdrücklich. Wir wollen eine effiziente Lebensmittel- und Veterinärkontrolle. Wir schätzen die Arbeit der KBLV und wollen, dass diese gut und rechtssicher arbeiten kann und vor allem die Bescheide rechtssicher sind.

Daran bestehen leider bis heute Zweifel. Das Verhalten der Staatsregierung hat sich bisher als sehr dilettantisch erwiesen, zu Lasten der Lebensmittelsicherheit, aber auch zu Lasten der in Bayern produzierenden Betriebe. Denn was gut arbeitende Betriebe brauchen, ist Planbarkeit und ein funktionierendes Kontrollwesen. Ob dies gegeben ist, untersuchte Rechtsanwalt Dr. Markus Kraus in seinem Rechtsgutachten mit folgendem Ergebnis:

1.    Das Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz GDVG ist zu unklar.
„Es besteht eine Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (Kontrollbehörde) mit Sitz in Kulmbach. Sie ist dem Landesamt nachgeordnet. Nach Maßgabe gesonderter Vorschriften erfüllt sie Kontroll- und Vollzugsaufgaben der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung, insbesondere hinsichtlich solcher Betriebe, deren Überwachung spezialisierte Fähigkeiten voraussetzt.“
Die Definition der spezialisierten Fähigkeiten ist nicht ausreichend, um dem gesetzlichen Bestimmtheitsgrundsatz zu entsprechen. Damit sind alle Bescheide dieser Behörde ungültig, oder zumindest rechtlich angreifbar. Zusätzlich wurden Betriebe der Kosmetikindustrie und der technischen Gase aufgenommen. Damit wird den Buchstaben des Gesetzes nicht entsprochen, denn hier handelt es sich nicht um Aufgaben der Veterinär- oder Lebensmittelüberwachung.

2.    Die Gesundheitliche Verbraucherschutz-Verordnung GesVSV ist verfassungswidrig.
Es gab nach unseren Recherchen keine Verbändeanhörung. Hierzu die StReg auf eine Grünen-Anfrage: Es (gemäß § 15 Abs. 7 StRGO) erfolgt eine Verbandsanhörung, wenn sie vorgeschrieben oder sachdienlich ist. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 BV ist nicht ersichtlich. (DRS 9340).
Demzufolge gab es entweder keine Anhörung, weil sie nicht vorgeschrieben oder sachdienlich ist. Oder es gab schon eine, aber es ist unklar, wer daran beteiligt war? Denn wenn eine Anhörung erfolgt, dann sollten die wichtigsten Verbände gehört werden (Gebot der Gleichbehandlung – Grundgesetz).


3.    Die Zuständigkeit der KBLV ist nach wie vor nicht eindeutig geregelt. „Maßgeblich für die Beurteilung des Erreichens ist der jährliche Durchschnittswert aus den Produktionsmengen der letzten drei Kalenderjahre. Sofern der Betrieb nicht bereits in den letzten drei Kalenderjahren produziert hat, ist ein Durchschnitt aus den letzten beiden Kalenderjahren zu errechnen. Hat der Betrieb bislang nur in einem vollen Kalenderjahr produziert, ist dieses heranzuziehen. Bei Neugründungen von Betrieben und bei Betriebsübernahmen ist die zu erwartende jährliche Produktionsmenge anhand der Angaben des Betriebes und der sonstigen Umstände durch die Kreisverwaltungsbehörde im Einvernehmen mit der Kontrollbehörde zu schätzen. Ausschlaggebend ist die sog. Referenzmenge, die im Anhang der GesVSV aufgelistet ist.“

Nicht immer lässt sich die Referenzmenge so einfach berechnen. In der Verordnung ist z.B. nicht aufgeschlüsselt, anhand welcher Kriterien die Jahresproduktion eines Betriebs überhaupt zu ermitteln ist.  Schätzen darf man sie jedenfalls nur bei Neugründungen oder Betriebsübernahmen.
Zur Klärung bei strittigen Fragen schreibt das Ministerium am 28.2.2020 an die Regierungen: „Die zuständige Behörde nimmt mit der evtl. neu zuständigen Behörde Kontakt auf, um die Unsicherheiten im Hinblick auf die Zuständigkeiten zu beseitigen und bis dahin die weitere Überwachung zu erörtern mit dem Ziel, dass die Behörden einvernehmlich ein gemeinsames Vorgehen (ggf. gemeinsame Kontrollen) vereinbaren.“
Gemeinsame Kontrollen bergen jedoch die Gefahr, dass da mindestens eine Behörde vor Ort ist, die gar nicht zuständig ist. Dürfen dann beide Behörden Bescheide erstellen und sind diese rechtssicher? Da sind erhebliche Zweifel angebracht.

Nicht geklärt ist auch die Problematik der Betriebe, die eine Referenzmenge knapp über oder unter dem Referenzwert erzeugen. Das kann für die Zuständigkeit der jeweiligen Behörde eine ständiges Hin und Her bedeuten. Dazu sagt die Staatsregierung: „Betriebe, die mit der Jahresproduktion über dem Referenzwert liegen, liegen im Zuständigkeitsbereich der KBLV, Betriebe, die unter dem Referenzwert liegen, verbleiben im Zuständigkeitsbereich der KVB.“ Der Abstand zum Grenzwert spielt keine Rolle. (Drs. 9340)

Dazu kommt die merkwürdige Benennung mancher Erzeugnisse, wie das Beispiel der Fertiggerichte exemplarisch zeigt. Wenn man nicht in der Lage ist, Produkte richtig zu definieren, muss man ständig nachbessern. Da rächt es sich, dass die Verbändeanhörung, die ja vorgeschrieben ist, offensichtlich nicht erfolgt ist.

Im Fall der Fertiggerichte musste die Staatsregierung übrigens eingreifen, weil es ein Schreiben der Regierung von Oberbayern gegeben hatte, das den Begriff „Fertiggerichte“ eigenwillig (oder man könnte auch sagen: aus einer Not heraus) interpretiert hatte. Da sagt die Staatregierung, dass bei derart komplexen Fachtermini erst mit dem Ministerium Rücksprache gehalten werden müsse - und dies, obwohl diese „komplexen Fachtermini“ exakt so in der Verordnung auftauchen.

Die Staatsregierung weiß selbst um die Unsicherheiten der Verordnung. Auf eine Anfrage von Rosi Steinberger vom Juli 2020 antwortet sie dennoch mehrfach, dass es bisher noch keinen Anlass zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung gegeben habe. Es herrscht vermutlich das Prinzip Hoffnung, dass dies auch so bleibt.

Die Schlampigkeit beim Erstellen der Verordnung ist summa summarum unübersehbar. Das größte Übel ist aber, dass der Gesetzgeber nach wie vor nicht in diesen Prozess eingebunden wurde und immer nur aus den Medien erfährt, wenn wieder einmal ein Gericht eine Nachbesserung einfordert.

Zufällig haben die Landtags-Grünen erfahren, dass die Verordnung und deren Wirksamkeit jetzt zumindest evaluiert werden. Allerdings leider nicht durch den ORH, dem das vorliegende Gutachten zur Kenntnis übersandt wird. Die Evaluierung wurde im Frühjahr 2020 öffentlich ausgeschrieben, wobei die besonders interessante Frage der Rechtsgrundlage nicht Gegenstand der Überprüfung sein soll. Stattdessen soll nur die Betriebsauswahl der KBLV erfasst werden. Darüber hinaus soll ein Optimierungsvorschlag unter Berücksichtigung der Ressourcen der betroffenen Behörden erarbeitet werden.

Rosi Steinberger fordert: „Stellen wir das Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz endlich auf eine solide Grundlage – und zwar mit Verbändeanhörung und mit Beteiligung des Landtags!“

Rechtsgutachten
Schreiben StmUV
Anfrage