Sozialer Zusammenhalt

Upgrade für die Sozialen Berufe in Bayern

Wir Grüne möchten soziale Berufe zukunftsfähig aufstellen

03. Mai 2021

Die Herausforderungen

Alle Menschen waren oder sind früher oder später selbst oder indirekt auf Fürsorge, Pflege, Erziehung, Begleitung – Care-Arbeit – angewiesen. Ob es die Kita für die eigenen Kinder, die Pflege der Großeltern oder von Geschwistern mit Behinderungen, ob es Beratung in Notlagen, Streetwork, Jugendsozialarbeit in der Schule oder Hilfen in schwierigen Familienphasen ist. Fachkräfte der sozialen Berufe sind essenziell für den sozialen Zusammenhalt. Die Anforderungen werden immer komplexer und die Arbeitsbelastung in diesen Berufsfeldern steigt nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie und des schon heute spürbaren Fachkräftemangels: Bis 2023 werden im Freistaat rund 30.000 zusätzliche Fachkräfte für die Kita benötigt und der Arbeitskräftebedarf in der Pflege wird bis 2030 auf bis zu ca. 34.000 Personen geschätzt.  Die sozialen Berufe waren immer bedeutsam, auch vor der Corona-Pandemie. Das Klatschen auf den Balkonen ist inzwischen leiser geworden und die Berufsfelder drohen erneut von der politischen Agenda der Regierung zu verschwinden.


Unsere Lösungsansätze für Bayern

Wir Grüne möchten nicht nur Boni verteilen und Beifall klatschen, sondern soziale Berufe zukunftsfähig aufstellen. Dazu nutzen wir die Länderkompetenz für die Gesundheits- und Erziehungsberufe, setzen konkret in den Arbeitsfeldern an und verpassen ihnen ein längst überfälliges „Upgrade“: bessere Bezahlung, attraktivere Ausbildungs- und Jobbedingungen, mehr Digitalisierung, vom „Frauenberuf“ hin zur Geschlechtergerechtigkeit, vom „Herzensberuf“ hin zur Anerkennung dessen, was soziale Berufe sind: anspruchsvolle Professionen. Die Staatsregierung darf sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen.

Wir Grüne haben uns auf unserer Winterklausur im Januar 2021 und auf unserem Sozialkongress im März 2021 intensiv mit dem Thema beschäftigt und dabei neben Wissenschaftler*innen und Expert*innen beispielsweise Pflegekräfte, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen eingeladen, uns ihre Ideen mitzugeben. Mit diesem Antragspaket legen wir ein „Upgrade“ der sozialen Berufe in Bayern und spezifische Programme für die Kita und die Pflege vor. (Download der Anträge)


Upgrade für die sozialen Berufe

Soziale Berufe sind vielfältig und es gibt natürlich neben der Pflege und Kita viele weitere Arbeitsfelder, beispielsweise die Jugendhilfe oder die Eingliederungshilfe. Sie alle haben gemein, dass sie oftmals mit schlechter Bezahlung, hohen Bürokratieanforderungen, wenig Digitalisierung und schlechtem Image kämpfen.

•    Öffentliche Ausschreibungen und Förderprogramme sind ein wichtiger Hebel, über den der Freistaat die Vergütung von Fachkräften in sozialen Berufen beeinflussen kann. Freie Träger (z.B. der Jugendhilfe) müssen sich bei der Anwerbung von öffentlichen Projektmitteln am Kriterium der Kosteneffizienz messen lassen – niedrige Gehälter sind die Folge. Die Staatsregierung wird aufgefordert, in der Vergabepraxis von öffentlichen Ausschreibungen und Fördermitteln eine angemessene Bezahlung als Förderbedingung festzuschreiben. Dies erhöht den Anreiz für Träger, Beschäftigte besser zu bezahlen und klammert die Personalkosten aus der Prüfung nach Kosteneffizienz aus.
•    Hohe bürokratische Anforderungen im Job nehmen viel Zeit von der eigentlichen Kernarbeit der sozialen Arbeit ein. Wir brauchen einen Entbürokratisierungsplan für die öffentliche Förderung durch den Freistaat: hier sind Maßnahmen aufzuzeigen, wie Bürokratie konsequent abgebaut werden kann. So kann nicht nur der Arbeitsalltag der Fachkräfte entlastet, sondern auch mehr Zeit für tatsächliche soziale Arbeit geschaffen werden.
•    Der digitale Wandel betrifft auch die soziale Trägerlandschaft – Angebotsformen, Arbeitsweisen und Kommunikationswege müssen angepasst werden (z.B. Online- Beratungen der Jugendhilfe). Außerdem brauchen soziale Träger eine sichere IT-Infrastruktur. Es braucht ein Förderprogramm „Digitalbonus“, um die Digitalisierung in der sozialen Trägerlandschaft in Bayern auszubauen.
•    Mithilfe einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne kann für eine gesellschaftliche Anerkennung dieser Berufsfelder geworben und mehr Nachwuchskräfte generiert werden.

  1. Upgrade für die Kita
    Bessere Rahmenbedingungen
    Um dem eklatanten Fachkräftemangel in den bayerischen Kitas endlich und nachhaltig entgegenzuwirken, braucht es neben verschiedenen Maßnahmen zur Gewinnung von Fachkräften auch bessere Rahmenbedingungen, um die Fachkräfte zu halten, die bereits im Beruf arbeiten. Besonders relevant sind aus unserer grünen Sicht auch strukturelle Veränderungen, die Weiterbildung sowie Aufstieg ermöglichen und Leitungen wie Fachpersonal zusätzliche Zeitkontingente für die Aufgaben einräumen, die nicht die direkte pädagogische Arbeit am Kind betrifft.
    Zunächst gilt es aber, mehr Fachkräfte zu gewinnen. Dazu muss die Reform der Erzieherausbildung, die zum kommenden Schuljahr umgesetzt werden soll, mit einem Ausbau der räumlichen Gegebenheiten und Lehrkraft-Kapazitäten gut vorbereitet und die gewünschten Effekte der Reform laufend evaluiert werden. Zusätzlich sind weitere Maßnahmen zu ergreifen, um mit mehr Männern, Fachkräften mit Migrationsgeschichte und multiprofessionellen Teams die persönliche und fachliche Vielfalt in den Einrichtungen zu steigern.

    Anhebung Anstellungsschlüssel
    Parallel dazu muss der Freistaat in bessere Arbeitsbedingungen investieren, um Fachkräfte möglichst lange für ihren Beruf zu begeistern. Studien haben gezeigt, dass ein erheblicher Teil der Berufsanfänger*innen das Arbeitsfeld bereits nach einigen Jahren wieder verlässt. Nur ein geringer Teil der Erzieher*innen übt den Beruf bis zum Rentenalter aus. Wir fordern deshalb, den förderrelevanten Mindestanstellungsschlüssel von 1:11 auf 1:10 sowie den empfohlenen Anstellungsschlüssel von 1:10 auf 1:8 anzuheben, um die Arbeitslast auf mehr Schultern zu verteilen. Dem erhöhten Betreuungsaufwand für Kinder unter einem Jahr ist mit einer Erhöhung des Gewichtungsfaktors von derzeit 2,0 auf 3,0 zu entsprechen. Unsere Fachkräfte benötigen darüber hinaus ausreichend Zeit für Teamsitzungen und Elterngespräche, Vor- und Nachbereitung der täglichen Arbeit mit den Kindern, für ihre Dokumentationspflichten und für notwendige Fort- und Weiterbildungen. Wir wollen einen festen Anteil der täglichen Arbeitszeit für die mittelbaren pädagogischen Tätigkeiten im BayKiBiG verankern, um die Arbeitsbelastung nachhaltig zu reduzieren.

    Förderung von Funktionsstellen für Schwerpunktaufgaben
    Mit einem weiteren Antrag fordern wir die Staatsregierung auf, das Berufsbild mit der Förderung von Funktionsstellen für Schwerpunktaufgaben – beispielsweise für Sprachförderung, Elternarbeit, als Praxisanleitung für Auszubildende und Praktikant*innen oder als Beauftragte für Gesundheit – attraktiver zu gestalten und hierfür ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten. Viele Fachkräfte übernehmen schon heute verantwortungsvolle (Zusatz-)Aufgabenbereiche, ohne dass diese bislang angemessen honoriert und anerkannt würden. Mit Funktionsstellen soll ein Beitrag geleistet werden, um das Berufsbild einerseits durch Weiterbildungsperspektiven aufzuwerten und zudem auch älteren Beschäftigten die Möglichkeit zu bieten, sich verstärkt Schwerpunktaufgaben zu widmen und die Tätigkeit in der oftmals sehr anstrengenden, unmittelbaren pädagogischen Arbeit zu reduzieren.

    Stärkung der Leitungen
    Der vierte Kita-Antrag widmet sich der Stärkung der Leitungen: Die Kitaleitung spielt eine entscheidende Rolle beim Erhalt und der Weiterentwicklung der Qualität in den Einrichtungen. Im Zuge der Umsetzung der Inklusion, der interkulturellen Öffnung, der Sprachförderung, der Kooperation mit den Grundschulen im Vorschulbereich, der Vernetzung im Sozialraum und der Intensivierung der Elternarbeit haben die Kitaleitungen zahlreiche praktische und konzeptionelle Aufgaben zu bewältigen. Zusätzlich kümmern sie sich um Personalgewinnung und -entwicklung. All diese wichtigen Aufgaben sollen die Kita-Leitungen nach derzeitiger Regelung nebenher bewältigen, da sie im Stellenschlüssel weiterhin zu 100% als pädagogische Fachkraft eingerechnet werden. Doch die Menschen können sich nicht zerreißen. Wir fordern deshalb, die Arbeitszeit für Leitungsaufgaben im Stellenschlüssel zu berücksichtigen und den Leitungs- und Verwaltungsbonus über die Dauer des Guten-Kita-Vertrags hinaus zu verstetigen.

  2.  Upgrade für die Pflege
    Wir Grüne setzen uns dafür ein, die Pflege zukunftssicher zu gestalten, indem wir sie an die Bedürfnisse der Menschen ausrichten. Mit dem demografischen Wandel steigt die Zahl derer, die auf Hilfe angewiesen sind. Die Prognose der Bevölkerungsentwicklung bis 2050 zeigt einen Anstieg der Einwohnerzahl Bayerns, die mit einer Änderung der Bevölkerungsstruktur einhergehen wird. So steigt die Anzahl der Personen ab einem Alter von 65 Jahren stark an. Im Jahr 2050 befinden sich 2,20 Millionen Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren und 1,41 Millionen Personen im Alter von 80 Jahren und älter. Ausgehend von 412.822 Personen mit Pflegebedarf im Jahr 2017 wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2050 deutlich ansteigen, Schätzungen gehen von 670.000 bis 888.000 Pflegebedürftigen aus. Entsprechend erhöht sich bis 2050 der Personalbedarf an Pflegefach- und Hilfskräften erheblich.

    Viele Probleme, mit denen wir uns heute in der professionellen Pflege auseinandersetzen, werden sich in Zukunft weiter verschärfen, wenn wir weiterhin versuchen, ihnen mit Lösungen von gestern zu begegnen. Wir stehen vor fundamentalen Herausforderungen in der Pflege und mit unseren Anträgen wollen wir in einem ersten Schritt auf eine Offensive in der Aus- und Weiterbildung.

    Arbeitsbedingungen verbessern
    Vor diesem Hintergrund fordern wir in unserem ersten Antrag, die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen eines im Herbst letzten Jahres veröffentlichten Gutachtens zur Personalbemessung in der stationären Altenpflege (Rothgang et al. 2020) als Modellprojekt in Bayern zu initiieren.  Bestimmte Bedingungen, wie ein ausreichender Personalmix zwischen z.B. Pflegefachkraft und Pflegehilfskraft müssen berücksichtigt, ebenso Aspekte der Organisations- und Führungsstrukturen unbedingt einbezogen werden. Das Personalbemessungsinstrument, ein am Bedarf orientiertes Verfahren und Grundlage für eine qualitativ hochwertige Versorgung aller Pflegebedürftigen kann einen großen Teil beitragen die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Gerade in Anbetracht von Versorgungsengpässen und Fachkräftemangel, müssen wir dafür Sorge tragen, dass weiterhin eine qualitative Versorgung sichergestellt werden kann, ohne dass es zu Lasten aller Mitarbeitenden in den Pflegeberufen geht.

    Verbesserungen in der Pflegehilfskraftausbildung
    Die Zahlen zeigen uns, dass vor allem in der Ausbildung der Pflegefachhelfer*innen nur niedrige bis gar keine Ausbildungszahlen zu verzeichnen sind. Allerdings werden wir künftig in den Einrichtungen voraussichtlich deutlich mehr Pflegepersonal auf der Ebene der Hilfskräfte benötigen. Gerade auch in Anbetracht der Ergebnisse des Gutachtens zur Personalbemessung in stationären Langzeiteinrichtungen müssen wir handeln. Deshalb fordern wir in einem weiteren Antrag deutliche Verbesserungen in der Pflegehilfskraftausbildung. Dazu gehört für uns ein berufliches Aufgabenprofil in Abgrenzung zu den Aufgaben der Pflegefachpersonen zu definieren und ein einheitlich definiertes Kompetenzniveau innerhalb der Berufsgruppe zu schaffen. In Anbetracht bestehender und künftiger Herausforderungen besonders in der zunehmenden Komplexität durch Mehrfacherkrankungen bei Pflegebedürftigen, neuer Kompetenzen der Pflegefachfrauen und – Männer, die mit dem Pflegeberufegesetz einhergehen, sind Verbesserungen in der Helferausbildung erforderlich. Eine Schlüsselrolle nimmt hier die ausreichende, zur Verfügung stehende Praxisanleitung ein, die wir mit unserem Antrag sicherstellen wollen.

    Reduzierung der Abbrecherquoten
    Außerdem setzen wir uns dafür ein, die Abbrecherquoten der Auszubildenden zu reduzieren. Die Zahl der erfolgreichen Ausbildungsabschlüsse in den Pflegeberufen ist in den letzten Jahren gestiegen, am deutlichsten in der Altenpflege. Allerdings hat die Zahl der Ausbildungsabbrüche im Vergleich auch zugenommen. So standen den insgesamt 6.692 Absolventinnen und Absolventen mit erfolgreichem Abschluss 2017, 2.355 Ausbildungsabbrüche gegenüber, das ist ein Viertel aller Abschlüsse. Als häufiger Grund werden die Bedingungen in den Einrichtungen für die Schüler*innen als unzureichend genannt. Die Arbeitsbelastung ist zu hoch und die Wertschätzung gegenüber den Auszubildenden zu gering. Dazu kommt fehlende, unzureichende Praxisanleitung in den Praxisphasen. Wir fordern deshalb von der Staatsregierung hier ein Maßnahmenpaket vorzulegen, um einerseits die Praxisanleitung, auch finanziell, besser zu gestalten und Anreize zu schaffen. Dazu gehört ebenso die Freistellung der Praxisanleiter*innen. Hier wollen wir mit einem Förderprogramm und Best practice Beispielen die Ausbildung in der Praxis deutlich verbessern und so für mehr Anleitungszeit sorgen. Wir wollen, dass die Kompetenzen der Schüler*innen keinesfalls schlechter werden, die, so auch das Ergebnis des Gutachtens, häufiger zu Ausbildungsabbrüchen führen. Für uns ist es essentiell diejenigen, die sich für diesen Beruf entscheiden, zu stärken und das von Beginn an.


Fazit

Es sind nach wie vor große Kraftanstrengungen nötig, um hier einen erheblichen Mangel an qualifiziertem Personal entgegenzusteuern. Die knappen Ressourcen müssen optimal zum Einsatz kommen, um die Anforderungen der künftigen Entwicklungen in der stationären Pflege erfolgreich meistern zu können. Professionelle und gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource einer (Pflege-) Einrichtung. Sie gilt es zu stärken und das von Beginn an.