Kommunale Fragen

„Ich muss mal länger weg …“

Landtags-Grüne präsentieren Gesetz zur Stärkung des kommunalen Ehrenamts mit Vertretungsregelung für Stadt- und Gemeinderät*innen

02. November 2020

Die kommunale Selbstverwaltung und die Demokratie vor Ort leben vom Einsatz engagierter Bürger*innen, die sich im Gemeinde- oder Stadtrat in die Kommunalpolitik einbringen und das Leben in der Kommune mitgestalten. Wenn die Ratsmitglieder über nachhaltige Stadtentwicklung, den Ausbau von Radwegen oder über das örtliche Schwimmbad entscheiden, tun sie das ehrenamtlich. Die Ausübung eines solchen kommunalen Mandats kostet Zeit, die sie neben dem Job und der Familie aufwenden. Der mit der Ausübung eines solchen Mandats einhergehende Zeitaufwand ist hoch auf Grund der Vielzahl der Vorlagen und der zunehmenden Komplexität der Entscheidungen.
Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir Landtags-Grünen die Rahmenbedingungen für die Ausübung eines kommunalen Ehrenamtes in den Kommunalparlamenten verbessern. Insbesondere wollen wir die Vereinbarkeit von Familie, Ehrenamt und Beruf erhöhen. Die Rätinnen und Räte in Bayern sollen Bedingungen für die Ausübung ihres kommunalpolitischen Ehrenamts haben, die auf die aktuelle
Lebenswirklichkeit angepasst sind. Wir wollen dabei helfen, dass die Engagierten in der Kommunalpolitik aktiv werden und es auch bleiben.


Wesentliche Forderungen des Gesetzentwurfs sind:

  • Regelung eines gesetzlichen Anspruchs auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung für berufstätige Ratsmitglieder gegenüber ihrem/r Arbeitgeber*in.
  • Einführung der Möglichkeit, dass sich Ratsmitglieder vorübergehend durch ein Ersatzmitglied vertreten lassen können. Diese Vertretungsmöglichkeit soll sich auf längerfristige Auszeiten (ab drei Monate) beschränken, also nicht kurzfristige oder gar nur einmalige Vertretungsfälle umfassen. Die Vertretungsmöglichkeit ist auf zwölf Monate maximal beschränkt.
  • Einführung eines gesetzlichen Anspruchs auf Erstattung der Kosten, die auf Grund der entgeltlichen Betreuung von minderjährigen Kindern und zu pflegender Angehöriger während der Gremiensitzungen entstehen.
  • Die mit unserem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Neuerung gelten damit für alle drei kommunalen Ebenen in Bayern. Wir helfen damit nicht nur den Gemeinde- und Stadträten, sondern auch den Ratsmitgliedern in den Kreis- und Bezirkstagen.

1. Vertretungsregelung
Im Mittelpunkt unseres Gesetzentwurfs steht ein Recht der Ratsmitglieder auf Stellvertretung. Ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen und -politiker werden in Bayern für sechs Jahre gewählt. Ein Zeitraum, in dem sich die Lebenssituation der politisch Engagierten vorübergehend auch einmal ändern kann: Menschen erkranken, müssen eventuell pflegebedürftige Angehörige unterstützen oder wollen
sich mit einem Auslandssemester weiterbilden. Wir führen daher eine Möglichkeit ein, dass sich Mandatsträgerinnen und -träger in Gemeinderäten, Stadträten, Kreis- oder Bezirkstagen, wenn sie an der Ausübung ihres Mandates im Gemeinde- oder Stadtrat, Kreis- oder Bezirkstag verhindert sind, durch ein Ersatzmitglied vertreten lassen können.
Bislang gibt es in Bayern eine solche Vertretungsmöglichkeit nicht. Hier gilt von Gesetzes wegen eine strenge Teilnahme- und Abstimmungspflicht für die Gemeinderäte. Sind Kommunalpolitikerinnen und -politiker längerfristig an der Teilnahme verhindert, bleibt ihnen bislang nur die Möglichkeit des dauerhaften Verzichts auf ihr Mandat. Und selbst wenn man entschuldigt fehlt, bleibt der Sitz im Rat einfach leer und die eigene Fraktion hat eine Stimme weniger bei Ratsentscheidungen.
Wir fordern in unserem Entwurf, dass der Listennachfolger im Sinne des Art. 37 Abs.1 GLKrWG der Vertreter des verhinderten Ratsmitglieds ist. Vorgesehen ist die vorübergehende Vertretungsmöglichkeit lediglich für eine längerfristige Abwesenheit
der Gemeinderatsmitglieder. Konkret müssen die Rätinnen und Räte für mindestens drei Monate an der Ausübung ihres Mandats verhindert sein. Kommt die verhinderte Person wieder zurück in den Rat, nachdem der Verhinderungsgrund entfallen ist,
erlischt die bisherige Rechtsstellung des Ersatzmitglieds und der bzw. die Rückkehrerin übt sein bzw. ihr Mandat wieder wie vorher aus. Die Vertretungsmöglichkeit erlischt im Übrigen kraft Gesetzes spätestens zwölf Monate nach der Berufung des Ersatzmitglieds.
Ist eine solche Vertretungsregelung im bayerischen Kommunalrecht ein absolutes Novum, so gibt es diese in Österreich schon länger. In Bundesländern wie Tirol und Salzburg bestehen sehr weitreichende Vertretungsmöglichkeiten für Gemeinderäte, die von allen Parteien angenommen werden und sich dort bewährt haben.
Grünen-Politikerin Stephanie Jicha, die 2. Vizepräsidentin des Tiroler Landtags und Kommunalpolitikerin (Gemeindesprecherin und selbst Gemeinderätin) bestärkt die bayerischen Landtagsgrünen bei ihrem Vorhaben. Die Regelung hat aus ihrer Sicht u.a. folgende Vorteile:
 

  • Ehrenamtliche Gemeinderatsmitglieder werden dadurch entlastet.
  • Personen mit Betreuungspflichten, insbesondere Frauen, profitieren von dieser Vertretungsmöglichkeit.
  • Auch demokratiepolitisch ist die Vertretungsmöglichkeit mehr als notwendig.
  • Die Bevölkerung entscheidet bei einer Wahl die Mehrheitsverhältnisse. Diese sollten dann auch bei den Entscheidungen im Rat wieder abgebildet werden, selbst wenn ein Ratsmitglied an der Teilnahme verhindert ist.
    2. Übernahme von Betreuungskosten

Wir fordern einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung der Kosten für die entgeltliche Betreuung von Kindern oder pflegebedürftiger Angehörigen des Ratsmitglieds. Ein solches Recht fehlt im bayerischen Recht bislang. Mit der geplanten Regelung wollen wir keine Pauschale, sondern, wie in anderen Bundesländern auch, die Übernahme der Betreuungskosten in voller Höhe. Dieser Entschädigungsanspruch steht sowohl Arbeitnehmer*innen, Selbständigen als auch nicht erwerbstätigen Personen zu. Der neu geschaffene Anspruch kommt nur dann in Betracht, wenn die Betreuung sich in zeitlicher Hinsicht mit der ehrenamtlichen Tätigkeit überschneidet.


3. Freistellung der Ratsmitglieder gegenüber ihrem Arbeitgeber
Unser gesetzlicher Freistellungsanspruch besteht für alle Ratsmitglieder gegenüber allen öffentlichen und privaten Arbeitgebern. Den kommunalen Mandatsträger*innen wird eine Freistellung für die „erforderliche Zeit“ eingeräumt, die sie für die Ausübung ihres kommunalen Mandats benötigen, d.h. erstreckt sich also auf die Tätigkeiten, die für die Ausübung des Mandats erforderlich sind.
Eine Freistellung ist immer dann zu gewähren, wenn sich eine Arbeits- bzw. Dienstleistungspflicht mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit zeitlich überschneidet. Zu den Tätigkeiten, die zu einer Freistellung im Rahmen des Anspruchs führen, zählen die Teilnahme an Gemeinderatssitzungen, Ausschusssitzungen oder vorbereitenden Fraktionssitzungen. Auch für die Dauer solcher Tätigkeiten, die auf Veranlassung des Vorsitzenden des Gemeinderats zu leisten sind, besteht ein Anspruch auf Freistellung. Gleiches gilt für die Teilnahme an Sitzungen von Aufsichts- und Verwaltungsräten, sofern der Betroffene diesen als Vertreter der Gemeinde oder auf Vorschlag der Gemeinde angehört.
 
In anderen Bundesländern wie bspw. in Baden-Württemberg ist eine entsprechende Freistellungsregelung schon seit längerem in Kraft.
Wir Landtagsgrünen wollen mit unserem Gesetzentwurf auch im Bereich der Kommunen unsere demokratischen Institutionen stärken. Dazu ist es aus unserer Sicht nicht nur nötig, die Transparenz in den Kommunalparlamenten zu erhöhen und die Rechte der Rätinnen und Räte zu verbessern. Wir wollen das kommunale Ehrenamt auch attraktiver machen, insbesondere für Frauen und junge Menschen.

Hier der Gesetzentwurf zum Download