Umwelt, Natur und Klima

Volksbegehren Artenvielfalt

Holprige Umsetzung des Volksbegehrens Artenvielfalt

16. Juli 2020

Erste wissenschaftliche Auswertung der Maßnahmen –Trägerkreis zieht ein Jahr nach Inkrafttreten durchwachsene Zwischenbilanz
Wie  steht  es  um  die  Umsetzung  des  Volksbegehrens Artenvielfalt -„Rettet die Bienen!“ ein Jahr nach der Annahme der Gesetzesänderungen durch den Bayerischen Landtag?  Um  alle  Maßnahmen  zur  Umsetzung  des  verbesserten bayerischen Naturschutzgesetzes,das durch ein Begleitgesetz und einen umfangreichen Verordnungskatalog der Staatsregierung ergänzt wurde, zu   überprüfen, hatte der Trägerkreis ein regelmäßiges Monitoring veranlasst.  ÖDP,  LBV,  Landtags-Grüne und die Gregor Louisoder Umweltstiftung beauftragten die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU), die Auswirkungen der neuen Gesetze anhand von festgelegten Indikatoren zu prüfen. Das von der HfWU entwickelte Monitoring-Konzept hat aus über 80 beschlossenen Maßnahmen 32 Indikatoren abgeleitet. Zum Jahrestag der Annahme des Volksbegehrens am 17. Juli 2019 ziehen die vier Sprecher*innen des Trägerkreises und Prof. Dr. Roman Lenz eine erste Zwischenbilanz der Erhebungen.


„Ein Jahr nach der Annahme  des  Volksbegehrens  ist  die  Artenvielfalt  in  Bayern  noch  nicht  gerettet.  Einige gute  erste  Schritte sind gemacht, einige neue Regelungen werden aber  auch noch nicht umgesetzt. Der Trägerkreis zieht  deshalb  eine  durchwachsene  erste  Zwischenbilanz, weshalb wir weiter ganz  genau hinschauen und Defiziteaufzeigen werden“,  so Agnes Becker, die Beauftragte des Volksbegehrens. Laut dem Bericht der Wissenschaftler*innen um  Prof.  Roman  Lenz  von  der  HfWU  sind  derzeit  die unmittelbaren Auswirkungen des  Volksbegehrens in einigen Bereichen bereits ablesbar. Dies zeigt zum Beispiel die Ankündigung, vier größere staatliche Waldgebiete Bayerns als Naturwälder zusätzlich unter Schutz  zu stellen. Auch die Erhöhung der Streuobstförderung im Vertragsnaturschutzprogramm oder die Einstellung neuer  Wildlebensraumberater*innen  kann in diesem Zusammenhang genannt werden.  Jedoch fehlen teilweise konkrete Definitionen wie Angaben zur räumlichen Verteilung des grünen Netzwerks im Wald oder beim Biotopverbund. Für einige der Maßnahmen sind Zielwerte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt genannt, so die Analyse von Lenz. Der ökologische Landbau soll bis zum Jahr 2025 mindestens 20Prozentder landwirtschaftlich genutzten Flächen umfassen. Hier ist bereits ein guter Trend erkennbar. Der Anteil  von  Grünlandflächen  mit  spätem  Mahdzeitpunkt  dagegen,  der  bereits  2020  bei  einem Flächenanteil von zehn Prozentliegen sollte, wird wohl nicht erreicht werden.


Negativ vermerken  die  Wissenschaftler,  dass  für  einen  wesentlichen  Teil  der  Indikatoren die Ausgangsdatenfehlen: dies betrifft die neu geschützten Grünlandbiotope, die Anwendung von Pestiziden, die geplante Bewirtschaftung der Straßenbegleitflächen als Magergrünland oder das
Verbot garten-und ackerbaulicher Nutzung im Gewässerrandstreifen.  Maßnahmen aus dem Bereich Bildung oder Siedlung sind nur schwer zu bemessen. So sollen hier, aus Sicht von Lenz, konkrete Studien helfen, beispielsweise die Umsetzung der geänderten Lehrpläne zu den Zielen des Naturschutzes oder den Aufgaben der Landwirtschaft einschätzen und bewerten zu können. Eine Kontrolle  der  Beleuchtung öffentlicher Anlagen oder beleuchteter Werbeanlagen im Außenbereich kann nur über Stichproben erfolgen. Prof. Roman Lenz, HfWU: „Es ist eine Herausforderung mit den bislang wenigen zur Verfügung stehenden Daten  die umfangreichen und vielseitigen Maßnahmen des Volksbegehrens bewerten zu können.“ Lenz sieht zugleich darin eine Chance hier anzusetzen, um für die nächsten Jahre die Datengrundlagen zu verbessern.


Agnes  Becker, Beauftragte  des Volksbegehrens  und  stellvertretende  ÖDP-Landesvorsitzende: „Für die bisher gezeigten Leistungen bekommt die Staatsregierung von uns heute, zum ersten Geburtstag des neuen Gesetzes, Lob und Tadel. Ein wichtiger Schwerpunkt unseres Gesetzes ist der Ausbau des Ökolandbaus. Der Staat hat die Verpflichtung bis 2030 den Anteil auf 30Prozentzu  steigern.  Leider hapert es da gewaltig.  Die  Kürzung der KULAP-Förderung für  Biolandwirte und die äußerst zögerliche Bereitschaft, der eigenen   Einkaufsverantwortung für mehr Bioprodukte in staatlichen Kantinen nachzukommen,  stößt  bei mir auf großes Unverständnis. Nicht nur auf Landesebene, auch in den Kommunen heben Politiker von CSU, FW, SPD und FDP nur selten die Hand, wenn mehr Bioprodukte in Schulen und Krankenhäusern gefordert werden. “Norbert Schäffer, Vorsitzender des LBV: „Im Waldnaturschutz sind wir mit der Ausweisung von über 5.500 Hektarnutzungsfreie Wälder ein großes Stück vorangekommen. Diese Wälder in den Donau-und Isarauen, der Frankenalb und dem Steigerwald sind Hotspots der Artenvielfalt, die uns zeigen, wie Natur sich von selbst entwickelt und auf den Klimawandel reagiert. Eine große Lücke im Naturwald-Netz besteht noch bei den Eichenwäldern im Spessart. Beim Biotopverbund im Offenland hoffen wir, dass die neuen Wildlebensraumberater und Biodiversitätsberater bald mit ihrer Arbeit beginnen und zügig verloren gegangene Lebensräume in der Kulturlandschaft wieder  geschaffen  werden.  Die  Artenvielfalt ist auch für die Stabilität des  landwirtschaftlichen Systems enorm wichtig und der Biotopverbund für die  Naherholung der Menschen in Bayern unverzichtbar.“


Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Landtags-Grünen: „Bei zwei der wichtigsten Maßnahmen zur Bewahrung von Artenvielfalt und zum Schutz unserer Gewässer stochern wir im Nebel, zu dessen Auflösung die schwarzorange Regierung wenig bis nichts  beiträgt.  Im  Gegenteil:  Mit  dem  willkürlichen  Anheben  der  Mindeststammhöhe  für geschützte  Streuobstbestände  handelte  Regierungschef  Söder  bewusst  gegen  den  Geist  des Volksbegehrens. Statt diese Schutzräume der Insektenvielfalt zu bewahren, lieferte er große Teile der  wertvollen  Baumbestände  höchstpersönlich an die Säge. Ebenso  unbefriedigend  ist  das Verwirrspiel um die in allen anderen Bundesländern   längst verpflichtend eingeführten Gewässerrandstreifen. Statt klarer Vorgaben gibt es eine „Macht-was-ihr-wollt-Politik“, die weder zum Schutz der in solche  Streifen lebenden Pflanzen und Tiere beiträgt, noch unsere Fließgewässer vor schädlichen Spritz-und Düngemitteleinträgen schützt.“


Claus  Obermeier, Vorstand der Gregor Louisoder Umweltstiftung: „Laut  Kabinettsbeschluss sind im Nachtragshaushalts 2020 für den Artenschutz insgesamt 71,8 Mio. Euro zusätzliche Mittel sowie  100  Stellen  vorgesehen. In  der  Vergangenheit galt in Bayern:  Geld und Stelle für den Straßenbau  gibt  es  fast unbegrenzt, für den Naturschutz nur ein paar Brotkrumen. Diese Entwicklung konnte durch das Volksbegehren Artenvielfalt umgekehrt werden, tendenziell setzt dieStaatsregierung hier ihre Zusagen um. Im Vergleich zu dem teilweise   exorbitanten Mittelzuwächsen in  anderen  Bereichen  sind wir  aber  von  der  XXL-Variante noch weit entfernt, Umschichtungen vor allem von Stellen zugunsten des Naturschutzes sind weiter erforderlich. Dies gilt besonders für den  völlig unzureichenden Vollzug der bestehenden Gesetze auf der Ebene der Unteren Naturschutzbehörden“. Hintergrund: Zum jetzigen Zeitpunktkönnen nur anfängliche Bemühungen dargestellt werden. Da das Ziel des Volksbegehrens  auf  eine langfristige Umsetzung ausgerichtet ist, können bestimmte Bereiche nach einem Jahr nur schwer beurteilt werden. Der Wert der Indikatoren und die Auswirkungen derneuen Gesetze werden erst in den nächsten Jahren deutlicher werden.


Hier das Gutachten der Hochschule 


Hinweis: Zum  Jahrestag  am Freitag,  17.7.,  lädt  der Trägerkreis  alle  Interessierten  zu  einem  kostenlosen Online-Forum  ein.  Von  20.00  bis  21.30  Uhr  stehen  unter www.lbv.dedie  vier  Sprecher  Agnes Becker, Dr. Norbert Schäffer, Ludwig Hartmann und Claus Obermeierund die Vorsitzenden der Ökoanbauverbände  Josef  Schmidt  (AbL)  und  Hubert  Heigl  (LVÖ)für  Fragen  rund  um  das Volksbegehren Artenvielfalt zur Verfügung.