Sozialpolitik

Landtag beschließt Bayerisches Teilhabegesetz

Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen

08. Dezember 2017

Im vergangenen Jahr hat der Bundestag ein Bundesteilhabegesetz (BTHG) beschlossen. Dieses ordnet die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen grundsätzlich neu. Das BTHG eröffnet den Bundesländern einige Spielräume zur Verbesserung der Leistungen für behinderte Menschen. Im Zuge der Umsetzung hat der Bayerische Landtag in dieser Woche ein Bayerisches Teilhabegesetz beschlossen.  Wir  Landtags-Grüne wollen die mit einer Neuordnung der Eingliederungshilfe verbundenen Chancen für die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft optimal nutzen. Hier ist das Bayerische Teilhabegesetz nur ein erster Schritt.

„Wir begrüßen es, dass das Verfahren der Gesetzgebung in diesem Fall sehr transparent und mit aktiver Beteiligung der Fachverbände und der Organisationen der Menschen mit Behinderung abgelaufen ist“, erläutert die sozialpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Kerstin Celina. „Insgesamt betrachtet ist es positiv, dass die Staatsregierung relativ schnell einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung des BTHG vorgelegt hat.“
Der vorliegende Gesetzesentwurf enthält viele unstrittige Punkte. Hierzu zählt die Bündelung der Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe, die Hilfe zur Pflege und weitere ergänzende Sozialleistungen bei den Bezirken. „Dadurch wird es möglich, dass behinderte Menschen alle notwendigen Leistungen aus einer Hand erhalten und nicht zum Opfer von Zuständigkeitskonflikten zwischen verschiedenen Kostenträgern werden“, so Kerstin Celina. „Das ist im Interesse aller Beteiligten, grundsätzlich auch der Menschen mit Behinderung.“ Allerdings muss bei der Umsetzung genau beobachtet werden, dass es zu keinen Verschlechterungen beim Niveau der Leistungen kommt.

Bisher war die Eingliederungshilfe stark einrichtungsorientiert. Die durch das BTHG geforderte individuelle Bedarfsfeststellung und personenbezogene Form der Leistungserbringung bedeuten einen Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe. Sie erfordern eine große Nähe zu den Betroffenen und die genaue Kenntnis ihrer spezifischen Bedürfnisse und Hilfebedarfe. Die Bezirke sind als zuständiger Kostenträger nun gefordert, individuelle Hilfeplanverfahren unter Einbeziehung der behinderten Menschen als Leistungsempfänger zu entwickeln. Hierfür brauchen die Bezirksverwaltungen ausreichend qualifiziertes Personal für ein individuelles Fallmanagement.  „Wir fordern ein bayernweit einheitliches Leistungsniveau und ein transparentes Verfahren zur Feststellung des individuellen Hilfebedarfs“, bekräftigt Kerstin Celina eine GRÜNE Kernforderung. „Hierfür ist es wichtig, dass der Landtag an der weiteren Umsetzung des Teilhabegesetzes beteiligt wird.“
Trotz der grundsätzlichen Zustimmung zum Gesetzesentwurf der Staatsregierung, sehen die Landtags-Grünen an einigen wichtigen Punkten Nachbesserungsbedarf. „Bei der Umsetzung des ‚Budgets für Arbeit‘ hätte die Staatsregierung mutiger vorgehen müssen,“ kritisiert Kerstin Celina.  Das ‚Budget für Arbeit‘ soll mehr Menschen den Übergang von einer Werkstatt für behinderte Menschen in den regulären Arbeitsmarkt ermöglichen. Allerdings hat der Bundesgesetzgeber das Budget finanziell nur unzureichend ausgestattet. Der vom Bund finanzierte Lohnkostenzuschuss an Arbeitgeber, die behinderte Menschen beschäftigen, beträgt aktuell lediglich rund 1.200 Euro. Davon lassen sich lediglich Beschäftigungsverhältnisse auf Mindestlohnniveau finanzieren. „Wir wollen aber auch hochqualifizierten Werkstattbeschäftigten, beispielsweise im IT-Bereich, den Zugang zu einer regulären Beschäftigung nach tariflichen Standards eröffnen,“ erläutert Kerstin Celina eine weitere GRÜNE Kernforderung. „Damit das ‚Budget für Arbeit‘ für möglichst viele behinderte Menschen zu einer echten Alternative werden kann, muss es deutlich aufgestockt werden!“  GRÜNE fordern deshalb in ihrem Gesetzesantrag eine Verdoppelung des Budgets für Arbeit von 40 auf 80 Prozent der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße. Damit ließe sich zumindest bei einer Beschäftigung auf bayerischem Durchschnittslohnniveau die maximale Förderhöhe ausschöpfen.
Auch bei der Beteiligung behinderter Menschen gibt es noch Verbesserungsbedarf. So wird auf Landesebene eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines einheitlichen Instruments zur Feststellung des Hilfebedarfs eingesetzt. Einheitliche Standards bei der Feststellung des Hilfebedarfs und bei der Gewährung der Leistungen sind für die Menschen mit Behinderung von existenzieller Bedeutung. Sie müssen deshalb an der Erarbeitung eines solchen Instruments auf Augenhöhe beteiligt werden. „Leider sind die Kostenträger und die großen Wohlfahrtsverbände als Leistungserbringer in der Arbeitsgruppe deutlich stärker vertreten, als die Verbände behinderter Menschen“, beklagt Kerstin Celina. „Dies entspricht nicht dem Motto der Behindertenbewegung ‚Nichts über uns, ohne uns‘.“ Die GRÜNE Landtagsfraktion hat deshalb in ihrem Änderungsantrag zum Teilhabegesetz eine gleichberechtigte Beteiligung der Betroffenen- und Angehörigenverbände an der Arbeitsgruppe gefordert.
Auch auf kommunaler Ebene sollen von den Kostenträgern Arbeitsgruppen zur Gestaltung inklusiver Sozialräume gebildet werden. An diesen lokalen AG’s sollen bisher lediglich die Wohlfahrtsverbände und die Kirchen als Leistungserbringer beteiligt werden, nicht jedoch die Organisationen behinderter Menschen. „Auch hier müssen Menschen mit Behinderung als Experten in eigener Sache unbedingt beteiligt werden,“ fordert Kerstin Celina. Es gibt also noch deutlich Luft nach oben bei der Gestaltung der zukünftigen Teilhabeleistungen für behinderte Menschen in Bayern.

Gesetzesentwurf der Staatsregierung für ein Bayerisches Teilhabegesetz I

Änderungsantrag zum Gesetzesentwurf der Staatsregierung für ein Bayerisches Teilhabegesetz I