Sozialpolitik

"In guten Händen - Zukunft der Geburtshilfe in Bayern"

14. August 2017

Andreas Diehm: Stvtr. Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, Leiter des Geschäftsbereichs II. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Krankenhausplanung, Investitionsförderung, der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit und Vernetzung.
Susanna Roth: Hebamme in München. Sie ist Expertin für Hausgeburtshilfe. Seit 1981 betreut sie daher ausschließlich Frauen, die eine Hausgeburt planen in der Schwangerschaft unter der Geburt und im Wochenbett.
Ulli Leiner, MdL; Kerstin Celina, MdL
Prof. Dr. med. Ricardo Felberbaum: Seit 2004 Chefarzt der Fachabteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Klinikums Kempten-Oberallgäu gGmbH und seit 2015 ärztlicher Direktor des Klinikums.
Astrid Giesen: Seit 2011 engagiert sie sich als Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbandes (BHLV) hauptamtlich für ihren Berufsstand. Neben ihrem Hauptberuf betreut sie zusätzlich immer eine Frau pro Monat im Wochenbett.
Uli-Gerd Prillinger: Geschäftsführer der Kreiskliniken Dillingen-Wertingen gGmbH und Mitglied des Aufsichtsrates der Klinik-Kompetenz Bayern eG. Seit nun fast 40 Jahren im Gesundheitswesen und Krankenhausbereich tätig, zunächst auf Seiten der Kostenträger (AOK) und nun seit über 12 Jahren als Klinikgeschäftsführer.

Aus der Perspektive ihrer verschiedenen Tätigkeitsbereiche berichteten die Referenten von Ihren Erfahrungen in der Geburtshilfe und gaben Denkanstöße und Verbesserungsvorschläge. Denn, es liegt einiges im Argen. Die Geburtshilfe verändert sich rasant, eine Geburtshilfestation nach der anderen in Bayern muss schließen, ganz aktuell in Bad Aibling, nachdem vorher schon ganz in der Nähe Prien am Chiemsee und Bad Tölz geschlossen haben. Was vor etwa einem Jahrzehnt als schleichender Wandel begann, hat sich nun in rasantem Tempo fortentwickelt: kleine Geburtshilfestationen schließen und die Zahl der Geburten in den großen Geburtshilfestationen wird immer größer.

Belegsystem als Stabilitätsfaktor
Begleitet wird dieser Wandel durch eine weitere einschneidende Veränderung: Jahrzehntelang haben Belegärzte und Beleghebammen das System – gerade bei uns in Bayern – geprägt, haben Geburten in kleinen Krankenhäusern neben ihren anderen Tätigkeiten durchgeführt und waren vor Ort, wenn sie gebraucht wurden. Jahrzehntelang hat das gut funktioniert, inzwischen finden sich weder Ärzte noch Hebammen in ausreichender Zahl, die bereit sind, diese Aufgaben unter den herrschenden Bedingungen zu übernehmen.
Hohe Haftpflichtversicherungsprämien und eine Vergütung, mit der das wirtschaftliche Risiko für diese Tätigkeit schlicht zu hoch erscheint, veranlassen Ärzte und Hebammen dazu, sich aus der Geburtshilfe selbst zurückzuziehen und sich auf andere Tätigkeiten zu konzentrieren. Geburten finden deshalb immer häufiger in großen Kliniken statt oder, wenn der Anfahrtsweg zu lange ist, auf dem Weg dahin.

Die Politik ist gefordert
Aus den Statements konnte man heraushören, dass die Referenten als auch die anwesenden Gäste, darunter zahlreiche Hebammen, Geburtshelfer sowie Gynäkologen und Gynäkologinnen, diese Entwicklung ablehnen. Auch wurde die Erwartung an diejenigen formuliert, die Maßnahmen zum Gegensteuern ergreifen können: die Politik, die Verbände, die Träger. In den Aussagen wurde deutlich, dass eine Debatte gewünscht ist, und zwar eine Debatte nicht nur über die aktuelle Situation der Hebammen und der hebammensuchenden Familien, sondern über die Situation in der Geburtshilfe in Bayern generell.

Wir Grüne haben diese Debatte im Bayerischen Landtag längst angestoßen und treiben sie voran, mit konstruktiven Vorschlägen, von denen die meisten abgelehnt werden, aber immerhin ein Prüfauftrag für einen Sicherstellungszuschlag für Geburtshilfestationen ist fraktionsübergreifend angenommen worden. Wenn dieser Prüfauftrag erfüllt ist, geht es darum zu gestalten, wie ein derartiger Sicherstellungszuschlag aussehen muss: gilt er dann nur für Kliniken, die generell rote Zahlen schreiben, oder gilt er auch für Kliniken, bei denen nur die Geburtshilfestation rote Zahlen schreibt und die die Träger nicht mehr finanzieren können?

Grüne Vorschläge – eine Auswahl
Wir haben auch vieles andere vorgeschlagen, z.B.

  • eine gezielte Förderung von Hebammenschülerinnen, da, wo sie gebraucht werden, mit Wohnheimplätzen und Stipendien,
  • eine Förderung von Hebammenpraxen ähnlich wie man die hausärztlichen Praxen auf dem Land jetzt fördert,
  • und hebammengeleitete Kreissäle.

Wir müssen auch die Situation von Belegärzten in den Fokus nehmen, denn es geht nur miteinander, das ist uns allen nach der fachbereichsübergreifenden Diskussion endgültig klar.

Geburtshilfestationen schließen – was tun?
Herr Diehm beschrieb die Dynamik der Veränderung eindrucksvoll: quer durchs Land schließen die Geburtshilfestationen, teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils aus Mangel an Hebammen. Kerstin Celina kommentierte dies: „Ich kann Ihnen sagen, wie die Diskussion im Gesundheitsausschuss des Bayerischen Landtags seit gut einem Jahr dazu läuft: es heißt, wir haben genug Hebammen, die Zahl der Hebammen steigt und wir brauchen erst genauere Daten zur Situation. Deshalb hat das Ministerium eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnis erst Ende März 2018 vorliegen wird. Ab wann dann frühestens Maßnahmen in Angriff genommen werden, wenn die Landtagswahl im Oktober 2018 sein wird, können Sie sich gut vorstellen. Vielleicht werden Maßnahmen bis zur Landtagswahl versprochen werden, aber umgesetzt sind sie bis dahin sicher noch nicht.“

Langfristige Planung und Sicherstellungszuschläge
„Das Netz wird immer dünner“, warnte Herr Diehm. Das gelte nicht nur für die Geburtshilfe, sondern die Geburtshilfe sei nur der Vorreiter für viele andere Bereiche auch. Und deswegen plädiere er sehr dafür, viel mehr langfristig zu planen und verstärkt den Fachkräftemangel anzugehen und schnell über Sicherstellungszuschläge zu diskutieren.

Gestaltung mit und für die Hebammen
Frau Giesen brachte es auf den Punkt: „Es kann nur gelingen, wenn wir zusammen gestalten.“ Frau Giesen berichtete auch davon, dass sich Hebammen oft auch nicht mehr in die Geburtshilfe trauen. Vielleicht wäre dann die Einrichtung hebammengeleiteter Kreissäle, wie es in Bayern erst einen gibt, ja auch eine gute Möglichkeit, Geburtshilfe selbständig zu gestalten. Aber ein Thema in diesem Zusammenhang hat seine Aktualität nicht verloren: Auch das Haftungsrecht muss neu diskutiert werden und neu geregelt werden. Es geht dabei nicht nur um die Höhe der Prämie, es geht auch um Fehlermanagement, das unter dem jetzigen Haftungsrecht keine guten Voraussetzungen hat. Ein wichtiger Punkt für Frau Giesen war auch die Thematik der akademischen Ausbildung für Hebammen. Das kann nicht mehr lange aufgeschoben werden, spätestens bis zum Jahr 2020 müssen wir in Deutschland eine Regelung getroffen haben.

Eine Geburt ist nicht eine weitere Ziffer in der Statistik
Prof. Felberbaum hat im Zusammenhang mit den hohen Geburtenzahlen auch darauf hingewiesen, dass es in der Debatte nicht nur um Geburtszahlen gehen sollte, sondern auch um das, was sie symbolisieren, nämlich verstärkte Lebensfreude und Mut zur Zukunftsgestaltung. Kliniken und Geburtshilfen dürfen nicht einfach zur Abwicklung der Geburten profitcentermäßig aufgestellt werden. Geburtshilfe zu erhalten sollte nicht nur mit Querfinanzierung gehen. Prof. Felberbaum prophezeite eine weitere Ausdünnung der Geburtshilfestationen in der Fläche und, wenn die Entwicklung so weitergehe, nur noch die Existenz von Geburtskliniken mit fünf bis sechstausend Geburten im Jahr. Aber auch Kliniken mit Kliniken mit fünf bis achthundert Geburten im Jahr haben eine Existenzberechtigung. Prof. Felberbaums Plädoyer für eine „schöne“ Geburtshilfe teilten viele der Anwesenden. Seiner Ansicht nach hat das Belegarztsystem aber keine Zukunft mehr. Aber eine wohnortnahe Geburtshilfe, wenn auch wahrscheinlich nicht ganz so wohnortnah wie bisher, für risikofreie Geburten, und Risikogeburten anderswo – das könnte das Modell der Zukunft sein.

Medizinisches Versorgungszentrum – ein Modell der Zukunft?
Herr Prillinger berichtete aus seinem Landkreis: „Man findet noch jemanden für die Gynäkologie, aber nicht mehr für die Geburtshilfe.“ Er stellte sein MVZ-System, das Medizinische Versorgungszentrum, als eine umfassende Lösung vor. Eine Lösung nicht nur für die Klinik und die Eltern, sondern eben auch für das Personal und die Versorgung der Bevölkerung in der Region mit Gynäkologen. Herr Prillinger prophezeite, dass die zukünftige Generation von Ärzten und Hebammen andere Vorstellungen habe, was ihre Arbeitsbedingungen angehe. Da müsse umgedacht werden. Die DRGs bilden zwar die anfallenden Kosten pro Fall ab, aber nicht die Vorhaltekosten. Unter den jetzigen Umständen sind die Landkreise gefordert, die Defizite zu tragen, die entstehen, wenn Geburtshilfestationen weniger als sechshundert Geburten im Jahr haben. „So kann Geburtshilfe in der Fläche nicht aufrechterhalten werden“, machte Herr Prillinger deutlich.

Ein Plädoyer für Hausgeburten
Frau Roth befürwortete vehement hebammengeleitete Einrichtungen und machte deutlich, eine Geburt dürfe dauern, wir bräuchten Zeit für Geburten, und genau das mache die Geburtshilfe für Hebammen attraktiver. Frau Roth sagte über ihre Arbeit: „Ich finde es einfach toll“ und plädierte für Unterstützung bei den Räumlichkeiten, die beispielsweise in München teuer sind.

In der Debatte gab es viele weitere Aspekte. Wortmeldungen aus dem Publikum brachten zahlreiche Erfahrungen aus den jeweiligen Arbeitsumfeld und Beobachtungen der Entwicklungen mit ein. Klar wurde vor allem eines: Branchenübergreifend ist die Erkenntnis vorhanden, es ist Zeit die Probleme in Angriff zu nehmen. Wir brauchen deutliche politische Zeichen, dass uns die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Geburtshilfestationen und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Hebammen wichtig ist. Kerstin Celina und Ulli Leiner haben vieles aufgenommen und mitgenommen für die weitere politische Arbeit für die Zukunft der Geburtshilfe in Bayern.