Sozialpolitik

Behinderte Menschen aus der Sozialhilfe herausführen!

<p><strong>Sozialausschuss debattiert über die Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz.</strong> Die große Koalition im Bund hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die Einführung eines neuen Bundesteilhabegesetzes für Menschen mit Behinderung verständigt, welches die bisherigen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII ablösen soll. Die Bundesländer sind im Rahmen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe aktiv an der Erarbeitung der Eckpunkte für eine Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe und die Einführung eines Bundesteilhabegesetzes beteiligt.

12. Juni 2015

Da Bayern zu den Bundesländern gehört, die direkt an der hochrangigen Expertengruppe zur Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs in Berlin beteiligt sind, wollte die Grüne Landtagsfraktion mit ihrem Antrag ‚Bundesteilhabegesetz einführen – Eingliederungshilfe weiterentwickeln‘ der Staatsregierung einen verbindlichen und möglichst konkreten Verhandlungsauftrag mit auf den Weg geben.

Ziel ist dabei eine grundlegende Reform der Eingliederungshilfe auf Basis der UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Weiterentwicklung zu einem modernen Teilhaberecht, welches nicht länger auf dem Fürsorgeprinzip beruht. Dafür muss die Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialhilfe gelöst und zu einem echten Nachteilsausgleich weiterentwickelt werden. Behinderte Menschen dürfen nicht länger für Leistungen der gesellschaftlichen Teilhabe mit ihrem Einkommen und Vermögen haftbar gemacht werden. „Nur so lässt sich verhindern, dass behinderte Menschen dazu gezwungen werden, dauerhaft auf dem Niveau der Sozialhilfe zu leben“, so die Grüne Sozialexpertin Kerstin Celina. „Auch behinderte Menschen brauchen die Mittel um eine Familie zu gründen und Kinder zu erziehen.“

Leider konnte sich die Mehrheit im Ausschuss nur zu einer unverbindlichen gemeinsamen Resolution durchringen, welche lediglich Verbesserungen bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung für Menschen mit Behinderung fordert. Auch die Forderung nach Einführung eines Bundesteilhabegeldes, welches als steuerfinanzierter Nachteilsausgleich allen behinderten Menschen unabhängig von Einkommen und Vermögen zusteht, taucht in der Resolution nicht mehr auf. Eine weitergehende Grüne Beschlussvorlage für ein interfraktionelles Eckpunktepapier wurde im Ausschuss mit den Stimmen von CSU und SPD ebenso abgewiesen wie der Grüne Antrag zum Bundesteilhabegesetz. „Die Große Koalition in Berlin ist nun anscheinend auch in Bayern angekommen“, wundert sich Kerstin Celina.

Bundesteilhabegesetz darf nicht zu einem verdeckten Einsparmodell verkommen

Die Rücknahme wichtiger Essentials beim Bundesteilhabegesetz hat auch mit einem politischen Streit um die finanzielle Beteiligung des Bundes zu tun. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde noch eine Beteiligung des Bundes in Höhe von 5 Milliarden Euro an den Kosten der Eingliederungshilfe in Aussicht gestellt. Ab 2015 sollten schon einmal vor Einführung des neuen Gesetzes die Kommunen durch eine Milliarde Euro vom Bund entlastet werden. Doch diese sog. ‚Vorabmilliarde‘ kommt jetzt nicht mehr unmittelbar den Kostenträgern der Eingliederungshilfe zugute, sondern fließt in Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II. Die Entkoppelung der finanziellen Zuwendungen des Bundes von den Kosten der Eingliederungshilfe wurde in Bayern zu recht vom Bayerischen Bezirketag als zuständigem Kostenträger heftig kritisiert. Auch hier hat die Grüne Landtagsfraktion in einem Dringlichkeitsantrag gefordert, dass sich der Bund unmittelbar an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligen muss. Dieser Antrag wurde ebenfalls mit den Stimmen von SPD und CSU abgelehnt.

Im März dieses Jahres hat die Bundesregierung dann sogar beschlossen, dass auch die versprochenen 5 Milliarden Euro nicht mehr an die Reform der Eingliederungshilfe gekoppelt werden sollen. „Dies halten wir für eine völlig falsche Weichenstellung“, kritisiert Kerstin Celina. „Ohne eine finanzielle Beteiligung des Bundes fehlt dem Bundesteilhabegesetz die notwendige Grundlage.“ Eine wirkliche Weiterentwicklung der Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention wird es ohne eine deutliche Entlastung der kommunalen Kostenträger nicht geben. Der Bund muss sich deshalb - wie ursprünglich versprochen - zu einem Drittel an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligen. Auch der Bezirkstagspräsident von Oberbayern, Josef Mederer, stellte in der Ausschussdebatte noch einmal klar, dass es Inklusion nicht zum Nulltarif geben kann. Der Bayerische Bezirketag hat sich in einem 15-Punkte-Forderungskatalog auf viele weitere konkrete Eckpunkte für ein Bundesteilhabegesetz verständigt, welche ebenfalls in der beschlossenen Ausschussresolution nicht mehr auftauchen. „Wir unterstützen die Forderung der Bezirke nach einer unmittelbaren Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe“, so Kerstin Celina. „Sollten die Gelder des Bundes nicht direkt bei den Trägern der Eingliederungshilfe ankommen, dann droht das Bundesteilhabegesetz zu einem verdeckten Einsparmodell zu verkommen. Angesichts der hohen Erwartungen der betroffenen Menschen wäre dies ein sozialpolitisches Desaster.“