Religionen und Weltanschauungen

Frische Impulse für eine alte Beziehung

Wie dringend wir insbesondere in Bayern eine Debatte über ein zeitgemäßes Verhältnis von Staat, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften brauchen, zeigte der große Andrang und die intensive Diskussion auf der religionspolitischen Veranstaltung von Ulrike Gote.

10. Juni 2016

Unter dem Titel "Frische Impulse für eine alte Beziehung" debattierte unsere religionspolitische Sprecherin mit ExpertInnen aus der Wissenschaft, den verschiedenen Religionsgemeinschaften, den Gewerkschaften, mit säkularen VertreterInnen und mit insgesamt mehr als 120 TeilnehmerInnen darüber, welche Rolle und Funktion den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in unserer Gesellschaft zukommt und welchen Rahmen es dafür braucht.

Die religiöse und weltanschauliche Zusammensetzung der bayerischen Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verändert. Immer mehr Menschen sind konfessionslos, gleichzeitig ist die religiöse Landschaft durch die Zuwanderung aus muslimischen Ländern und durch das Wiederaufleben der jüdischen Gemeinden vielfältiger geworden. Diese Entwicklungen spiegeln sich jedoch – gerade in Bayern – in den rechtlichen Rahmensetzungen kaum wider.

Vor diesem Hintergrund verdeutlichte Ulrike Gote in ihrem einführenden Statement die grundsätzliche grüne Haltung und den aus ihrer Sicht bestehenden Handlungsbedarf in der Religionspolitik: „Wir Grüne verstehen die Vielfalt der in Bayern beheimateten Religionen und Weltanschauungen als große Bereicherung und Chance – zugleich aber auch als Herausforderung. Wir müssen Antworten auf die Fragen finden, welcher grundsätzliche Veränderungsbedarf für das Verhältnis von Staat und Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften damit einhergeht.“ Grundlage müsse auch weiterhin die wohlwollende Neutralität des Staates gegenüber den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bleiben. „Wer der Fiktion eines christlichen Abendlandes nachläuft, stellt unser bisheriges System in Frage“, so Ulrike Gote.

Wer sich Ulrikes Statement anhören möchte, hier der Podcast

Zur gemeinsamen Suche nach Antworten waren der Münchner Soziologe Armin Nassehi und die Leiterin der Kommission »Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat«, Bettina Jarasch, der Einladung von Ulrike Gote in den Bayerischen Landtag gefolgt.

Armin Nassehi zeigte anhand eines historischen Abrisses, dass das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften seit jeher konfliktbeladen war. „Die aktuelle Diskussion darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre, erinnert verblüffend an die Semantiken, die historisch in der Diskussion über die Loyalitätskonflikte von Katholiken in ihrem Verhältnis zum Staat zu beobachten waren.“ Um das Verhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften zu regeln, hätten sich in demokratisch verfassten Staaten drei Modelle entwickelt: Die strikte Trennung, wie sie das laizistische Frankreich praktiziert, das in Skandinavien zu beobachtende Staatskirchenmodell und das für Deutschland charakteristische kooperative Vertragsmodell. Nassehi plädierte dafür, an diesem Modell festzuhalten, es aber für alle Religionsgemeinschaften gleichermaßen zu öffnen: „Wenn Verträge, dann für alle – sonst für niemanden. Eine Privilegierung ist nicht nachvollziehbar.“ Gleichzeitig wies er darauf hin, dass auf muslimischer Seite bisher eine den christlichen Kirchen und den jüdischen Gemeinden vergleichbare Sozialform fehle. Hier bräuchten wir mehr Offenheit für neue Organisationsformen und adäquate Formen der Anerkennung.

Hier die Rede von Armin Nassehi zum Nachhören

Auch Bettina Jarasch sprach sich für die Beibehaltung und Weiterentwicklung des kooperativen Modells aus: „In einer religiös und weltanschaulich zunehmend vielfältigeren Gesellschaft brauchen wir – trotz aller Unterschiede – eine gemeinsame Grundlage.“ Eine lebendige Demokratie sei zudem auf zivilgesellschaftliches Engagement angewiesen. „Die Religionsgemeinschaften spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.“ Im Hinblick auf die rechtliche Stellung des Islams betonte die Grüne Religionspolitikerin, dass die rechtliche Gleichstellung längst überfällig sei, es aber keinen Rabatt bei den zu erfüllenden Kriterien geben dürfe: „Religiöser Pluralismus: ja, rechtlicher Multikulturalismus: nein.“ Vielmehr müssten – beispielsweise bei der Einführung des Islamischen Religionsunterrichts – Brücken- und Übergangslösungen ermöglicht werden.

Hier die Rede von Bettina Jarrasch zum Nachhören


Für eine Gleichstellung des Islams sprach sich in der anschließenden Diskussion über den konkreten Handlungsbedarf in Bayern auch Gönül Yerli aus. „Hier geht es um Anerkennung und gesellschaftliche Aufwertung“, so die Vizedirektorin des Islamischen Forums Penzberg. Davon verspreche sie sich auch eine Belebung der innermuslimischen Debatte darüber, „wie wir den Islam in Bayern beheimaten wollen. Der politische Diskurs wird den theologischen Diskurs beflügeln.“ Jan Mühlstein von der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom wies darauf hin, dass das kooperative Modell vor allem dann ein friedliches gesellschaftliches Miteinander befördere, wenn es für alle gleichermaßen offen steht und auch die Pluralität innerhalb der einzelnen Religionsgemeinschaften achtet.

Erstaunlich nahe waren sich säkulare und kirchliche VertreterInnen in der Diskussion über die Zeitgemäßheit der sogenannten Stillen Tage. Eva Lettenbauer von der Grünen Jugend plädierte im Sinne einer offenen und bunten Gesellschaft für die Abschaffung insbesondere des sogenannten Tanzverbots. „Die Rücksichtnahme auf die religiösen Gefühle anderer ist wichtig, durch Verbote kann diese aber nicht erreicht werden“. Der Leiter des Katholischen Büros Bayern, Lorenz Wolf, regte daraufhin eine gesellschaftliche Diskussion über den Sinn der Stillen Tage an. „Es geht mir darum, diese gut zu begründen. Wenn wir es nicht schaffen, den Menschen einen Sinn der Stillen Tage zu vermitteln, brauchen wir sie nicht.“


Kontroverser verlief dann jedoch die Diskussion über das kirchliche Arbeitsrecht. Ulrike Gote stellte die zugespitzte Frage in den Raum, ob es sich dabei um ein legitimes Selbstverwaltungs- oder um ein diskriminierendes Sonderrecht handle. Kathrin Weidenfelder von ver.di Bayern hatte dazu eine sehr klare Meinung: „Das kirchliche Sonderarbeitsrecht ist überholt. Für normale Arbeitgeber – außerhalb des verkündungsnahen Bereichs – muss es abgeschafft werden.“ Der Vertreter des Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, Dieter Breit, hingegen bezeichnete die Besonderheiten im kirchlichen Arbeitsrecht – zum Beispiel beim Kündigungsschutz oder beim Streikrecht – als „legitimes und bewährtes Selbstverwaltungsrecht der Kirchen.“ Dieses sei jedoch durchaus im Detail reformfähig. Michael Bauer vom Humanistischen Verband Deutschlands entgegnete, dass ihm der Glaube in die Reformfähigkeit der Kirchen an dieser Stelle fehle: „Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es hier ganz offenbar den Gesetzgeber braucht.“

Ulrike Gote versprach in ihrem abschließenden Statement, diese, wie auch alle weiteren Anregungen aufzunehmen und in ihre parlamentarische Arbeit einfließen zu lassen: „Mit dieser Veranstaltung wollen wir dazu beitragen, die Diskussion über ein zeitgemäßes Verhältnis zwischen Staat, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften auch in Bayern endlich in Gang zu bringen. An einigen Stellen besteht sicher noch weiterer Diskussionsbedarf. Ich nehme aber schon jetzt viele wichtige Impulse mit für die bevorstehenden Debatten im Landtag.“

Und hier noch mehr zum Nachlesen aus der Kommission:

Abschlussbericht der Kommission »Weltanschauungen,  Religionsgemeinschaften und Staat« 
von Bündnis 90/Die Grünen