Landwirtschaft und Ernährung

Bayerns Kälber im Fokus

Gesprächsrunde der Landtags-Grünen zur kuhgebundenen Kälberaufzucht

30. März 2022

Kälber aus bayerischen Milchviehbetrieben stehen aus mehreren Gründen im Fokus. Zum einen, weil die frühe Trennung von Kuh und Kalb in der Gesellschaft immer kritischer gesehen wird. Zum anderen, weil sich bei der Aufzucht und beim Handel mit Kälbern große Probleme auftun. Kälber, die nicht als Milchkühe gebraucht werden, werden oft unter schwierigen Bedingungen ins Ausland exportiert.

Dabei hat Bayern im Vergleich zu anderen Bundesländern einen entscheidenden Vorteil. In Bayern ist die Zweinutzungsrasse Fleckvieh noch weit verbreitet, die sich sowohl für die Milcherzeugung wie auch für die Mast gut eignet. Die kleinstrukturierte Landwirtschaft in Bayern ist zudem prädestiniert für regionale Wertschöpfungsketten und Betriebskooperationen und bietet somit das Potenzial, eine regionale und artgerechte Kälberaufzucht zum Standard zu machen.

Wie dies im Rahmen einer kuhgebundenen Aufzucht gelingen kann, diskutierten Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen bei einer von den Landtags-Grünen am 4. März 2022 veranstalteten digitalen Gesprächsrunde. Mit der Frage „Ballast oder Chance?“ als Motto wurde über die Wertschätzung und Wertschöpfung von Kälbern aus der Milchviehhaltung gesprochen. Im seinem Eingangsstatement ging der Schweinfurter Biolandwirt und tierwohlpolitischer Sprecher der Landtags-Grünen, Paul Knoblach, auf die aktuell oft fehlenden Möglichkeiten ein, Kälber aus der Milchviehhaltung regional und artgerecht aufzuziehen.  „Noch immer gibt es zu viele Kälber in Bayern, die nicht ausreichend versorgt sind.“ Dies gelte für konventionelle genauso wie für Biobetriebe.

Die agrarpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, Gisela Sengl, machte klar: „Was wir brauchen, ist eine bessere Förderung von Betriebskooperationen zwischen Milchvieh- und Mastviehhaltern.“ Mehr Kälber in den regionalen Wertschöpfungsketten halten und tiergerecht aufziehen, und somit grausame Transporte zu vermeiden, war dem Motto entsprechend dann auch das Kernthema der Runde.

Dr. Ingrid Lorenz vom Tiergesundheitsdienst Bayern sprach zur Kälbergesundheit im Freistaat. Dabei ging sie auf die im Rahmen des Transportalters häufig diskutierte „immunologische Lücke“ ein, die sie als menschengemacht ansieht. Diese Lücke entsteht durch eine schlechte Versorgung der Kälber in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt und resultiert beispielsweise oft in Durchfall. Wenn die Kälber nach der Geburt und während der Aufzucht mit ausreichend Milch der Mutterkuh und hochwertigen Ersatzprodukten versorgt werden, erhöht sich ihre Gesundheit enorm.

Des Weiteren wurden Projekte der Kälbervermarktung und -mast vorgestellt. Laut Hubert Heigl, Vorsitzender der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern und Präsidenten des Anbauverbandes Naturland, gingen mehr als die Hälfte der bayerischen Biokälber in die konventionelle Vermarktung. Gründe dafür seien unter anderem die geringe Nachfrage nach Biokalbfleisch und die hohen Kosten in der Aufzucht von Biomilchviehkälbern – insbesondere im Vergleich zu Absetzern aus der Mutterkuhhaltung. Lösungsmöglichkeiten sieht Heigl in Kooperationen von Milchvieh- und Mutterkuhhaltern. Anstatt einer reinen Mutterkuhhaltung könnten Kälber aus Milchviehbetrieben von Ammenkühen aufgezogen werden. Auf diese Weise könnte auch die Wertschöpfung in der Mutterkuhhaltung erhöht werden, da eine Amme etwa drei bis vier Kälber jährlich aufziehen kann, eine Mutterkuh hingegen nur eines. Auch eine staatliche Bruderkalb-Prämie für Kälber, die in Bayern extensiv gehalten und aufgezogen werden, sei eine Lösungsmöglichkeit.

Ergänzend dazu stellte Rolf Holzapfel von den Demeter HeuMilch Bauern das Programm „Zeit zu zweit“ vor, das die kuhgebundene Aufzucht der Kälber aus den teilnehmenden Milchviehbetrieben vorschreibt. In dieser erfolgreichen Vermarktungslinie erfolgt eine Quersubventionierung der Aufzuchtkosten über die Milchprodukte. Rolf Holzapfel monierte das Systemproblem, dass Milch und Fleisch aktuell nicht zusammen gedacht werden.

Das sah Beate Reisacher aus der Öko-Modellregion Oberallgäu Kempten ähnlich: „Milch und Fleisch gehören bei der Vermarktung zusammen.“. In dem von ihr präsentierten Projekt „Allgäuer Hornochse“ werden Kälber aus Milchviehbetrieben regional und extensiv aufgezogen. Ihr Fleisch und die Wurstprodukte werden regional vermarktet.

Dr. Kerstin Barth, Wissenschaftlerin am Johann Heinrich von Thünen-Institut, sprach über die kuhgebundene Kälberaufzucht und die Folgen für Kalb, Kuh und Landwirt*in. Sie hob unter anderem hervor, dass Verbraucher*innen Wert darauf legen, dass die Kälber direkt bei den Müttern und nicht bei Ammen aufwachsen.

Mareike Herrler, Universität Hohenheim, sprach über das Projekt WertKalb und nahm die Wertschöpfung von Kälbern aus der biologischen Milchviehhaltung in den Fokus. Weil bereits bestehende Gütesiegel überwiegend unbekannt seien, müsse noch sehr viel Zeit in die Aufklärung der Verbraucher*innen investiert werden.

Theresa Hautzinger, HS Weihenstephan Triesdorf, stellte das Projekt mehrWERT vor, welches seit 2021 die Situation bayerischer Kälber und die damit zusammenhängende Biomilch- und Rindfleischproduktion untersucht. Sie erläuterte erste Forschungserkenntnisse.

Ergebnis der von erfreulich vielen Fragen des Online-Publikums begleiteten Veranstaltung: Für unsere bayerischen Kälber bestehen bereits jetzt viele gute Projekte, die allerdings ausgeweitet werden sollten. Hier kommt eine Förderung kuhgebundener Kälberaufzucht, eine bessere Förderung von extensiver Weidemast sowie eine Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten in Frage. Nötig sind Betriebskooperationen, neue Vermarktungswege, eine bessere und tiergerechte Versorgung unserer bayerischen Kälber mit Milch der Mutterkühe und auch Wege, um die Kälber länger bei der Kuh belassen zu können.

Die gehaltenen Vorträge sind als PDF verfügbar. Anfrage an: maria.hohenester(at)gruene-fraktion-bayern(dot)de