Kultur und Heimat

Über jeden Verdacht erhaben?

Eine Veranstaltung zu Antisemitismus in Kunst und Kultur.

Foto: Barbara Hartmann

02. Dezember 2022

Eine Welle der Empörung schwappte diesen Sommer durch die Feuilletons: Auf einer der weltweit wichtigsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst, der documenta in Kassel, waren Werke zu sehen, die eine antisemitische Bildsprache verwenden, wie wir sie seit den 30er Jahren in unserem Land nicht gesehen haben. Die Debatte um Antisemitismus in Kunst und Kultur erreichte damit einen traurigen Höhepunkt – und hob lediglich an die Oberfläche, was es immer schon gab und gibt:

Seit Jahren bekommen antisemitische Aussagen in Studien hohe Zustimmungswerte, Gewalttaten gegen Jüdinnen*Juden waren nie verschwunden, und auch in Kunst und Kultur zieht sich eine lange Geschichte antisemitischer Vorfälle und Ressentiments kontinuierlich durch Vorkriegs- wie auch bundesdeutsche Gegenwartsgeschichte. Antisemitische Kontinuitäten, die da, wo Kunst und Kultur öffentlich gefördert werden, nach Debatte verlangen.

Kunstfreiheit ist ein hohes Gut. Wie soll, wie darf, wie muss Gesellschaft, Politik, Kunstszene auf Antisemitismen reagieren? Nach dieser documenta ein Schulterzucken und dann weiter so? Wir Landtags-Grüne versammelten auf Initiative der Kulturpolitischen Sprecherin, Sanne Kurz, verschiedene Perspektiven aus Judentum, Kunst, Kultur und Politik zur kritischen Auseinandersetzung mit einem Thema, das an Aktualität auch nach der documenta fifteen nichts eingebüßt hat.

Unsere Fraktionsvorsitzende, Katharina Schulze, und unsere Kulturstaatsministerin, Claudia Roth, begrüßten mit uns Dr. h.c. Charlotte Knobloch. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern gab mit einer eindrucksvollen Keynote unserer Podiumsdiskussion den fulminanten Auftakt. Die Illusion, dass Kultur über jeden Verdacht erhaben sei, machten sich, so Knobloch, nur noch wenige. Die Antisemitismusdebatte, die seit Anfang November um die Inszenierung des Stücks ‚Die Vögel‘ am Münchner Metropoltheater läuft, führe die Allgegenwärtigkeit und Dringlichkeit dieser Diskussion vor Augen, wichtig sei es aber, Dinge selbst zu sehen und Debatten nicht aus dem Weg zu gehen.

Das Podium – mit Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, der Publizistin und Literaturwissenschaftlerin Stella Leder, der Autorin Lena Gorelik und Marlene Schönberger, MdB, und zuständig für die Bekämpfung von Antisemitismus und Förderung jüdischen Lebens in der Grünen Bundestagsfraktion, ebenso hochkarätig wie sachkundig besetzt - war sich einig: Antisemitismus kam und kommt überall vor, er war und ist Teil unserer Gesellschaft, auch Kunst und Kultur stehen nicht abseits davon, standen sie nie. Trotzdem kommen den Künsten, kommt der Kultur eine besondere Verantwortung zu: hier werden Diskurse bearbeitet, Debatten in die Öffentlichkeit getragen und ausgetragen.

Stella Leder ging auf den Umgang mit antisemitischen Vorkommnissen ein, Lena Gorelik las einen intensiven, persönlichen Text und gab zu bedenken, dass Künstler*innen nichts zufällig machen, jedes Komma mit Bedacht gesetzt sei, Marlene Schönberger berichtete zu den Aktivitäten, die wir Grüne in Berlin angestoßen haben und Olaf Zimmermann berichtete, dass viele Dialoge wie dieser folgen müssten und folgen würden, der Kulturrat plane hier bereits.

Deutlich wurde in der Diskussion, dass ein Verständnis für Diskriminierung beim Antisemitismus oft ebenso fehlt wie das Wissen darum, wann Aussagen als antisemitisch zu werten sind. Anders als beim N-Wort sei man bei Antisemitismus auch noch nicht so weit, die Deutungshoheit Juden*Jüdinnen als Betroffenen von Antisemitismus zu überlassen, gab Leder zu bedenken. Reflexhafte Abwehrreaktionen bei erkannten Vorfällen auf beiden Seiten verhinderten daher oft die Auseinandersetzung. Kulturförderung im Bereich Antisemitismus fehle ebenso wie Mittel für kulturelle Erwachsenen-Bildungsprojekte zum Antisemitismus.

Was bleibt ist die Überzeugung, dass Kunst als Verhandlungsort für die Themen, die unsere Gesellschaft bewegen, unbedingt frei ist und sein muss. Sie kann und darf irritieren, Konflikt austragen. So bietet sie die Möglichkeit der Auseinandersetzung. Gleichwohl gibt es Grenzen aufzuzeigen, denn Freiheit endet dort, wo andere, wesentliche Rechte beschnitten werden. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, selbstverständlich gilt das auch für Jüdinnen*Juden – auch und gerade im Land der Täter*innen.