Kommunale Fragen

Endlich verlorenen Boden gutmachen

Heimat ist, was wir draus machen! Dieser Leitsatz gilt vor allem für die kommunalpolitische Ebene, denn dort sind Entscheidungen für jede und jeden unmittelbar spür- und erlebbar. Als Zeichen der Anerkennung und um uns für den beherzten Einsatz für die Grüne Sache vor Ort zu bedanken, haben der kommunalpolitische Sprecher Jürgen Mistol und Fraktionsvorsitzender Ludwig Hartmann für die gesamte Landtagsfraktion alle GRÜNEN kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger im Freistaat zu einer Kommunalpolitischen Fachtagung in den Bayerischen Landtag eingeladen.

22. März 2017

Zur Halbzeit der Kommunalwahlperiode wollten wir in Form eines „Speed“-Datings von den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern nicht nur wissen, in welchen Angelegenheiten vor Ort der Schuh drückt, sondern wie auch die Landesebene und insbesondere die Landtagsfraktion gegebenenfalls (besser) unterstützen kann. Weil wir endlich verlorenen Boden gutmachen wollen, stand - wie auch schon auf unserer Winterklausur im vergangenen Januar - das Thema Flächensparen im Mittelpunkt unserer Fachtagung. In vier verschiedenen Workshops zu den Themen klimagerechte Stadtentwicklung, Flächenzertifikatehandel, sozialgerechter Bodennutzung sowie Starkregenereignissen sind wir der Frage nachgegangen, in welcher Weise Flächenverbrauch in Wechselwirkung mit der kommunalpolitischen Praxis steht und welchen Maßnahmen ergriffen werden können, um einen sparsamen und nachhaltigen Umgang mit unserem Grund und Boden zu gewährleisten.

Und die CSU-Regierung öffnet dem Flächenfraß im Freistaat weiter Tür und Tor. Auf ihren Antrag wurde nun im Rahmen der Novelle des Bauplanugnsrechts der neue Paragraf 13b ins Baugesetzbuch eingefügt, nach dem alle Gemeinden in Deutschland künftig am Außenrand eines jeden Ortsteils ein Hektar Bauland im Hauruckverfahren ausweisen können. Hier sind künftig unsere Rätinnen und Räte vor Ort gefragt, ein wachsames Auge bei der Baulandausweisung zu haben und dem Raubbau an Natur und Landschaft Einhalt zu gebieten, wie Jürgen Mistol bei seiner Begrüßungsrede klarmachte.

Die Keynotes unserer Grünen Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund in der Gemeinde Pullach sowie unseres Grünen Landrats Jens-Marco Scherf im Landkreis Miltenberg haben verdeutlicht, dass Grünes „Regieren“ auf kommunaler Ebene und der Weg dorthin zwar ein ganzes Stück harte Arbeit bedeutet, aber das Gestalten dann umso mehr Spaß macht.
Fazit: wenn wir frühzeitig viele fleißige, engagierte, und tatkräftige Menschen vor Ort für unsere Grünen Ziele gewinnen können, werden wir 2020 auch erfolgreich punkten können.
 
Präsentation von Susanna Tausendfreund

Präsentation von Jens-Marco Scherf

 
Workshop 1 : Prima Klima
Maßnahmen zur klimagerechten Stadtentwicklung
Input: Jürgen Huber, 3. Bürgermeister der Stadt Regensburg.
Moderation: Martin Stümpfig

Wie können wir Flächen in Boomregionen sinnvoll nutzen? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz zu machen in Gegenden mit starkem Wachstum? Diese Frage haben Jürgen Huber, 3. Bürgermeister in Regensburg, und Martin Stümpfig, Sprecher für Energie und Klimaschutz, intensiv mit den Workshop-TeilnehmerInnen diskutiert.
Jürgen Huber vertrat die These, wer Innenentwicklung wolle, um den Landschaftsverbrauch einzudämmen, müsse Eingriffe in den Städten hinnehmen. Trotzdem setzt er sich in Regensburg dafür ein, diese Eingriffe so schmerzlos wie möglich durchzuführen. Er betonte die Wichtigkeit von Frischluftschneisen und von „Grünen Wohnzimmern“. Gerade in Wohngebieten, in denen die Menschen keinen eigenen Garten hätten, solle jede und jeder nach 5 Minuten Fußweg eine naturnahe Erholungsfläche erreichen können.
Martin Stümpfig stellte das Konzept der Landtagsfraktion zum Eindämmen des Flächenfraßes in Bayern vor. Er forderte eine rechtlich verbindliche Obergrenze und einen Zertifikatehandel für ein vernünftiges Wachstum in allen Landesteilen. Abschließend stellte er Musteranträge für KommunalpolitikerInnen vor, die helfen sollen, die Energiewende vor Ort voranzubringen.
 

 
Workshop 2: Stadt, Land, Grün! Flächensparen durch Flächenhandel
Input: Dr. Ralph Henger, Projektleiter Planspiel Flächenhandel, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.
Moderation: Ludwig Hartmann

Im Workshop „Stadt, Land Grün! - Flächensparen durch Flächenhandel“ stellte Dr. Ralph Henger, Projektleiter des Planspiels Flächenhandel (LINKhttp://www.flaechenhandel.de/) vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V., den Kommunalpolitiker*innen zunächst Funktionsweise und Vorteile des Handels mit Flächenzertifikaten vor. Ein besonderes Augenmerk legte er dabei auf die kommunalpolitischen Auswirkungen des Handelssystems. Vorab wies Moderator Ludwig Hartmann darauf hin, dass Landesplanung durchaus lenken darf und dies auch soll, weshalb eine landesweit festgelegte Höchstgrenze für den Flächenverbrauch zulässig ist. Das hat auch ein Gutachten der Fraktion  bestätigt. Laut Dr. Ralph Henger ist der Flächenhandel ein wirksames Instrument, um den deutschlandweit problematischen Flächenfraß einzudämmen: „Die grundsätzliche Motivation für den Flächenhandel ist, die Preisverhältnisse zwischen Außen- und Innenentwicklung anzupassen.“ Für viele Kommunen sei die Neuausweisung von Bau- und Gewerbegebieten eine „Kostenfalle“, da der Nutzen häufig überbewertet, die Kosten aber unterbewertet werden.

Kosten für die Investitionen, langfristige Kosten zur Instandsetzung und Erhaltung der Infrastruktur, Folgekosten des demografischen Wandels – all das werde zu wenig berücksichtigt: Ein Viertel aller kommunalen Ausweisungsprojekte deutschlandweit lohnt sich nach den Auswertungen des IW Köln derzeit nicht. Wichtig war Henger die Feststellung, dass Kommunen auch bei einem festgelegten Flächenziel und einem damit verbundenen Zertifikatehandel Flexibilität, Planungshoheit und Eigenständigkeit behalten. Um das Ziel des Flächensparens zu erreichen, schafft das Handelssystem lediglich einen Rahmen, in dem Kommunen frei agieren können. Dieser klare Rahmen ist laut Henger ein entscheidender Vorteil gegenüber dem bisher nur eingeschränkt funktionierenden EU-Emissionshandel. Zudem sind die "Händler" Kommunen statt Unternehmen und die Gefahr zu vieler Zertifikate auf dem Markt besteht angesichts einer fest umrissenen Zieldefinition nicht. Bilanzierend fasste Henger als zentrales Ergebnis des Planspiels zusammen: Der Flächenhandel erfüllt den intendierten Zweck, in erster Linie wurde auf Außenbereichsentwicklungen zugunsten von Innenentwicklungsmaßnahmen verzichtet.
In der angeregten Diskussionsrunde am Ende des Workshops thematisierten die grünen KommunalpolitikerInnen unter anderem weitere positive Auswirkungen des Zertifikatehandels, z. B. den finanziellen Lastenausgleich zwischen stabilen bzw. wachsenden Kommunen und schrumpfenden Gemeinden. Es bestand Einigkeit darüber, dass ein Handelssystem der zentrale Baustein sein kann, um die dringend notwendigen Flächensparziele zu erreichen.
 

 
Workshop 3 - This land is your land, this land is my land
Durch sozialgerechte Bodennutzung kommunale Haushalte entlasten und nachhaltigen Wohnungsbau fördern
Input: Prof. Dr. Jürgen Schade, MdL a.D. und ehemaliger Gemeinderat
Moderation: Anna Katharina Hanusch, Ehrenamtliche Stadträtin der Landeshauptstadt München

Das BauGB enthält im § 1 Abs. 5 einen gesetzlichen Ankerpunkt für die sozialgerechte Bodennutzung. In Verbindung mit dem § 11 Abs. 3 BauGB (städtebauliche Verträge) ist damit das Instrumentarium für die Kommunen gegeben, Wertsteigerungen so zu verteilen, dass die entstehenden kommunalen Lasten sozialgerecht aufgeteilt werden können.
Einberechnet werden können Kosten für Planung und Erschließung, für die Errichtung der sozialen Infrastruktur und für die sozialgerechte Bodennutzung.


Dabei handelt es sich – um die korrekte Terminologie beizubehalten – nicht um eine Wertabschöpfung durch die Gemeinde oder gar um eine Bereicherung der Gemeinde, sondern die Verteilung des Wertzuwachses zum einen für Planung und Erschließung zum zweiten für die Errichtung von sozialer Infrastruktur und zum Dritten zu Gunsten der zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer.
Wichtig bei der SOBON ist, dass man von der Betrachtung des Einzelfalls wegkommt, um die Gefahr der Willkürlichkeit zu vermeiden und um die Gleichförmigkeit des Verwaltungshandelns zu gewährleisten. Das kann in Form einer kommunalen Satzung (Bsp. Stadt München) oder in Form einer kommunalen Richtlinie (Bsp. Gauting) erfolgen.


Die SOBON ist kein ausschließlich sozialpolitisches Instrument. Sie schafft Wohnraum für den "Normal- bzw. Durchschnittsverdiener" und entlässt die Kommune nicht aus der Verpflichtung darüber hinaus auch Sozialen Wohnungsbau zu betreiben.
Die SOBON ist kein Instrument zum Flächensparen. An erster Stelle muss immer die Frage stehen, ob sich eine Fläche überhaupt städtebaulich und konzeptionell zum Bebauen eignet.
Immer wenn durch Planänderungen ein Wertzuwachs eines im Privatbesitz befindlichen Grundstücks zu erwarten ist  - das kann auch im Innenbereich sein - empfehle ich die Anwendung des Instrumentariums der sozialgerechten Bodennutzung.
 


Workshop 4: Damit uns das Wasser nicht bis zum Hals steht
Leitfaden zum kommunalen Starkregenrisikomanagement
Input: Markus Moser, Regierungspräsidium Stuttgart
Moderation: Thomas Gehring


„Wenn Starkregengefahrenkarten künftig vor unwetterbedingten Flut-Ereignissen erstellt werden, dann sind wir dort, wo wir vor dem Schaden klug werden!“, resümierte Workshop-Referent Markus Moser vom Regierungspräsidium Stuttgart die Relevanz von einem präventiven Starkregenrisikomanagement in den Kommunen. Die Lokalisierung und Evaluierung von starkregenbedingten Gefahren in Form von animierten Karten wird in Baden-Württemberg als Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Präventionsstrategie der Gemeinden beim Schutz gegen Hochwasser angesehen. Aus diesem Grund hat die schwarz-grüne Landesregierung ein Förderprogramm auf den Weg gebracht, das eine Subventionspauschale von 70% für Investitionen im Bereich des kommunalen Starkregenrisikomangements beinhaltet und von einem Leitfaden flankiert wird. Die hohe Anzahl an laufenden Anträgen (150 für die nächsten 2 Jahre) signalisieren, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Starkregenrisikomanagementmaßnahmen zunimmt und im Verwaltungshandeln der Gemeinden immer häufiger Beachtung findet. Tatsächlich sensibilisieren die Städte und Dörfer in Baden-Württemberg im Rahmen des kommunalen Flächenmanagements in immer größerem Umfang ihre Bürger für starkregenbedingte Überschwemmungsgefahren. Ob im Wohnbau, dem Anlegen von Verkehrswegen oder der Landbewirtschaftung – bei jedem Flächengestaltungsprojekt sind Kommunen angehalten, eine hochwasserrelevante Wissensgrundlage zu generieren und über die ortsspezifischen Flutgefahren bei heftigen Niederschlägen zu informieren, so Moser. In der Landwirtschaft wird in diesem Zusammenhang neben dem staatlichen Aufklärungsauftrag sogar die staatliche Beratungskompetenz genutzt. Wie Moser zudem berichtete, sind 80% der Bevölkerung Baden-Württembergs gegen Hochwasser versichert. Dabei wird die Starkregengefahrenkarte zur versicherungsrechtlichen Risikobewertung hinzugezogen.
Wie die Workshop-Teilnehmer erarbeiteten, stellt sich die Situation in Bayern hingegen weitaus weniger fortschrittlich dar.

Thomas Gehring, der als Parlamentarischer Geschäftsführer und stellvertretender Fraktionsvorsitzender bei der Grünen-Landtagsfraktion den Workshop moderierte, zeigte sich enttäuscht und besorgt zugleich, dass im bayerischen Hochwasserschutzprogramm 2020 das Wort „Starkregen“ nicht einmal vorkommt. Dass im Freistaat eine staatliche Förderung der Landwirtschaft, allerdings keine Beratungsmöglichkeit mehr vorgesehen ist, macht den verantwortungsvollen Umgang der Kommunen mit Starkregenhochwasserrisiko zusätzlich zum offensichtlich fehlenden Problembewusstsein der Staatsregierung kompliziert. Einig war sich der Workshop 4 zudem, dass die Prüfung des Umgangs der Versicherungswirtschaft in Bayern mit Starkregenhochwasserrisiken durch die Landespolitik notwendig ist. Die Grünen sind insgesamt aber zuversichtlich, dass die Praxis staatlicher Förderung für ein kommunales Starkregenrisikomanagements sowie die Bereitstellung eines Leitfadens analog zu den Mechanismen in Baden-Württemberg rasch Eingang in die grüne Politik in Bayern Eingang finden wird. „Auch die Staatsregierung hat im Grunde keine Wahl, als dem Thema Hochwasserschutz nach Starkregen endlich die Bedeutung beizumessen, die nach den Überschwemmungsereignissen in Bayern im vergangenen Jahr zunehmend signifikant ist. Gerade im Bereich des Risikomanagement bei intensiven Niederschlägen wird dafür zu sorgen sein, dass die Gemeinden über bessere Handlungsbedingungen verfügen.“, bilanziert  Gehring die Eingaben aus dem Workshop.