Ehemalige Heimkinder kommen zur Wort

Wir überprüfen Umsetzung einer Landtagsresolution aus der letzten Legislaturperiode. Der Sozialausschuss hat sich in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause noch einmal ausführlich mit der Situation ehemaliger Heimkinder und der Umsetzung des Fonds Heimerziehung auseinandergesetzt.

10. Juli 2015

Im Rahmen einer Anhörung kamen noch einmal die Betroffenen zu Wort, aber auch Mitarbeiter der bayerischen Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder, Repräsentanten der evangelischen und katholischen Kirche, der Leiter des Bayerischen Landesjugendamtes und Experten aus der Wissenschaft. Ausgangspunkt war ein Antrag der Grünen Landtagsfraktion, in dem ein Bericht über die Umsetzung einer interfraktionellen Resolution aus der letzten Legislaturperiode zur Aufarbeitung des Schicksals ehemaliger Heimkinder in Bayern gefordert wurde.

„Der damalige Beschluss des Sozialausschusses ist im Wesentlichen auf unsere Initiative zustande gekommen und beinhaltet sehr weitgehende Positionen und konkrete Handlungsaufträge an die Staatsregierung“, erläutert die Grüne Sozialpolitikerin Christine Kamm. „Leider konnten nicht alle Punkte erfolgreich umgesetzt werden!“ Dies geht eindeutig aus einem schriftlichen Bericht des Sozialministeriums und aus den Stellungnahmen der Betroffenen und Experten anlässlich der Landtagsanhörung hervor.
Eine positive Bilanz muss jedoch zur Arbeit der bayerischen Anlauf- und Beratungsstelle gezogen werden. Die Anlauf- und Beratungsstelle wurde zuletzt im Mai 2014 auf jetzt zehn MitarbeiterInnen aufgestockt. Insgesamt wurden 3.232 Anträge auf Fondsleistungen über die Anlaufstelle eingereicht und 2.811 Antragsteller begleitet und beraten. Bislang wurden bereits 12,8 Mio. Euro zum Ausgleich von Folgeschäden der Heimerziehung oder zur Kompensation von Rentenansprüchen an ehemalige Heimkinder in Bayern ausgezahlt. Probleme bereiten jedoch die langen Bearbeitungszeiten bei der Geschäftsstelle des Bundesfonds. „Im Durchschnitt beträgt dort die Bearbeitungszeit der Antragsunterlagen rund neun Monate“, erläutert Christine Kamm. „Das ist für die Betroffenen unzumutbar lang.“

Noch kein Entschädigungsangebot für Betroffene aus Behindertenhilfe und Psychiatrie

Positiv ist auch, dass nun endlich der bereits seit langem aufgebrauchte ursprüngliche Fondsbetrag von 120 Mio. € noch einmal deutlich um 182 Mio. € aufgestockt wurde. Damit können vermutlich alle vorliegenden und noch nicht abgearbeiteten Anträge erfüllt werden. „Leider ist es nicht gelungen die Antragsfristen für den Fonds um ein Jahr bis zum 31.12.2015 zu verlängern“, beklagt Christine Kamm. „Es dürfte immer noch eine große Dunkelziffer von Menschen geben, die überhaupt nicht von der Existenz des Fonds erfahren haben.“ Von bundesweit ungefähr 800.000 ehemaligen Heimkindern haben lediglich 20.000 Ansprüche an den Fonds angemeldet. Viele der Antragsteller klagen über hohe bürokratische Hürden und zu lange Wartezeiten.

Auch einige andere ungelöste Probleme wurden in der Landtagsanhörung angesprochen. So gibt es bisher keine zufrieden stellende Lösung zur Entschädigung für verbotene Kinderarbeit in den Heimen. Werden ehemalige Heimkinder im Alter pflegebedürftig, dann wollen die meisten Betroffenen auf keinen Fall in eine stationäre Pflegeeinrichtung. Wie sie müssen alternative Wohnformen und ambulante Pflegeangebote bereit gestellt werden. Auch ein bereits vom Landtag beschlossenes Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Heimerziehung in Bayern wurde immer noch nicht auf den Weg gebracht. Auch im Bereich der öffentlichen Entstigmatisierung und Rehabilitierung der früheren Heimkinder gibt es noch erheblichen Nachholbedarf. Für Kinder und Jugendliche die in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Psychiatrie untergebracht waren, gibt es überhaupt noch kein Entschädigungsangebot.

Auch die Konsequenzen aus den Erfahrungen der Nachkriegsjahrzehnte für die heutige Kinder- und Jugendhilfe müssen noch genauer bestimmt werden. „Unsere Fraktion fordert z.B. die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche aus Maßnahmen und Einrichtungen der Jugendhilfe“, so die Grüne Jugendpolitikerin Claudia Stamm. „Doch hier zeigt sich die Staatsregierung bisher wenig beweglich.“ Sonja Djurovic forderte zudem als Repräsentantin der bayerischen Heimkinder eine Schließung der sechs geschlossenen Heime, die immer noch in Bayern existieren.  „Hier handelt es sich um unsägliche Relikte der autoritären Phase der Nachkriegszeit“, beklagte Djurovic in der Landtagsanhörung. Viele offenen Themen und Probleme also. Der Landtag wird sich wohl noch häufiger mit dem Thema beschäftigen müssen.