Integration und Migration

Dokumentation ANKER-Zentren in Bayern

Die ANKER-Einrichtungen in ihrer Konzeption als Massenunterkünfte und in der Kombination von Erstaufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft und Abschiebezentrum haben sich nicht bewährt.

30. Juli 2019

Die ANKER-Einrichtungen in ihrer Konzeption als Massenunterkünfte und in der Kombination von Erstaufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft und Abschiebezentrum haben sich nicht bewährt.
Viele der Geflüchteten sind durch ihre Erlebnisse im Herkunftsland und auf dem Fluchtweg schwer traumatisiert. Die Unterbringung in Massenunterkünften führt zu enormen psychischen Belastungen, schwerwiegenden Retraumatisierungen und Verfestigung psychischer Erkrankungen. Besonders schutzbedürftige Gruppen wie Frauen und Kinder, Opfer von Frauen- bzw. Menschenhandel, Menschen mit Behinderung, schwer traumatisierte Personen und Schwule, Lesben und Transgender (LGBTI) sind massiven Diskriminierungen bis hin zu sozialer Ächtung, sexuellen Belästigungen und Gewalt bzw. Androhung von Gewalt durch Sicherheitsdienste, aber auch durch Mitbewohner*innen ausgesetzt.
Diskriminierung und Gewalt sind ein strukturelles Problem der Massenunterkünfte. Je größer die Einrichtung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von gewalttätigen Übergriffen. Anonymität, mangelnde Privat- und Intimsphäre, fehlende Schutz- und Rückzugsmöglichkeiten, keine abschließbaren Sanitär- und Schlafräume, die gemeinsame Nutzung von Zimmern mit Fremden ist Bestandteil des Lebens in die ANKER-Einrichtungen. Zudem kommt der hohe Geräuschpegel, der Mangel an Tagesstruktur und Beschäftigung, die Kasernierung und Isolierung von der Gesellschaft, eingeschränkte Rechte und die kontinuierliche Kontrolle der Privaträume führen zu Aggression, Stress. Daraus folgt ein schrittweiser Verlust von Würde und Autonomie und führt zu Perspektivlosigkeit.
Durch Überwachung, massive Kontrollen, Besuchsverbote und Stacheldrahtzäume werden Geflüchtete kriminalisiert. Die Abschottung hat zur Folge, dass den Bewohner*innen der wichtige Kontakt zur Bevölkerung und zu Unterstützer*innen versperrt bleibt. Damit will die Staatsregierung offensichtlich Integration von vorneherein bekämpfen. Sie versucht, Proteste der Bevölkerung gegen die Behandlung/Unterbringung der Asylsuchenden und gegen Abschiebungen von vorneherein zu unterbinden. Das Konzept der ANKER-Einrichtungen zielt offensichtlich auf Abschreckung, Isolierung und Kriminalisierung von Geflüchteten aus migrationspolitischen Erwägungen ab. Dies lehnen wir GRÜNE im Bayerischen Landtag ab.
Wir GRÜNE fordern eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten, die auf die Möglichkeit zu einem fairen Verfahren, Stärkung der Potenziale und Integration und Teilhabe von Anfang an abzielt. Die Asylsuchenden müssen von Anfang an in ihrer Autonomie bestärkt werden, ihr Leben in der Aufnahmegesellschaft selbst zu gestalten. Dazu ist der Kontakt zur Bevölkerung, zu Unterstützer*innen und zu den vorhandenen Beratungsstellen für Flüchtlinge, Frauen, Schwule und Lesben, für Menschen mit Behinderung etc. unerlässlich.


Grüne Forderungen für eine menschenwürdige Aufnahme:

  1. Beschleunigte und faire Asylverfahren durch Rechtsbeistand vom ersten Tag an.
    Sofort nach der Registrierung wird jede*R Asylbewerber*in ein rechtliche*R Vertreter*in beigestellt, um das Verfahren fairer und effizienter zu gestalten und zu beschleunigen. Die Schweiz hat damit nachweislich sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Verfahrensberatung durch das BAMF ist nicht ausreichend.
     
  2. Begrenzung des Aufenthalts in der Aufnahmeeinrichtung auf 3 Monate
    Nach ihrer Ankunft werden die Asylbewerber*innen in Erstaufnahmeeinrichtungen mit abschließbaren Wohneinheiten für max. 300 Personen für max. 3 Monate untergebracht. (vgl. dazu § 44 AsylG: mind. 6 Wochen, höchstens 6 Monate, Länder können dies verlängern -> BayAufnG 24 Monate). In den Erstaufnahmeeinrichtungen finden Sozialberatung, Rechtsberatung, Erstorientierungskurse sowie Sprachkurse statt. Der Personalschlüssel für die Sozialberatung beträgt 1:50. Kochgelegenheiten, Spielräume und -plätze für Kinder, Aufenthaltsräume mit W-LAN sind zu stellen. Ehrenamtliche und Besucher*innen haben Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen.
     
  3. Besonders schutzbedürftige Gruppen
    Nach der Registrierung werden die Asylsuchenden einem systemischen Screening unterzogen, um besonders schutzbedürftige Gruppen nach Art. 21 der EU-Aufnahmerichtlinie zu identifizieren. Wir zählen auch LGBTI zu den besonders schutzbedürftigen Gruppen. Sie müssen entsprechend ihren besonderen Bedürfnissen untergebracht werden, ggf. in gesonderten Schutzeinrichtungen bzw. -häuser.
     
  4. Gewaltschutz in den Erstaufnahmeeinrichtungen verankern
    In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden Stellen für Gewaltschutzkoordinator*innen zur Prävention und Verhinderung von Gewalt bzw. Gewaltandrohung geschaffen. Dies betrifft nicht nur Maßnahmen im Fall von Gewalt bzw. Gewaltandrohung gegen Frauen, sondern bezieht sich auch auf Menschen mit Behinderung und LGBTI (und interkulturelle Konflikte). Das Gewaltschutzkonzept der Staatsregierung greift hier eindeutig zu kurz.
    Prävention und Verhinderung von Gewalt reduziert die Polizeieinsätze, die viele Geflüchtete als beängstigend und traumatisierend wahrnehmen. Die Gewaltschutzkoordinator*innen sollten deshalb auch in Mediation – inkl. Interkultureller Mediation – ausgebildet sein.
     
  5. Dezentrale Unterbringung in abgeschlossenen Wohneinheiten auf kommunaler Ebene
    Die Kommunen stellen überschaubare dezentrale Unterkünfte mit abgeschlossenen Wohneinheiten und guter Verkehrsanbindung/Infrastruktur zur Verfügung. Von einer Mehrfachbelegung in einem Zimmer mit Fremden ist abzusehen. Jede Wohneinheit verfügt über eine Kochgelegenheit. Containerunterkünfte lehnen wir ab. Jede Unterkunft verfügt zudem über eine Sozialberatung. Mit der dezentralen Unterbringung fällt der enorme Sicherheitsaufwand – Sicherheitsdienste, Eingangskontrollen, Kontrollen der Privaträume und Stacheldrahtzäune – weg. Damit wird zudem das Gewalt- und Konfliktpotenzial in den Unterkünften erheblich reduziert. Dies fördert die Akzeptanz in der Bevölkerung.
     
  6. Aufhebung des Sachleistungsprinzips in allen Unterkünften
    Das Sachleistungsprinzip in den Unterkünften ist aufzuheben. Das Sachleistungsprinzip entmündigt die Betroffenen und verhindert eine autonome und freie Lebens- und Alltagsgestaltung sowie Teilhabe an der Gesellschaft. Selbstversorgung betrifft auch die Gestaltung von sozialen Beziehungen und dient der Integration. Dem widerspricht die rigide Anwendung des Sachleistungsprinzips. Die Leistungen für Essen und Kleidung sind bar auszuzahlen, von Vollverpflegung in den Unterkünften ist abzusehen, damit die Leistungsempfänger ihren Alltag selbst und ihren Anliegen entsprechend gestalten können.
     
  7. Schulpflicht für Kinder durch Besuch der Regelschule erfüllen
    In Bayern besteht für alle Kinder Schulpflicht – auch für Kinder von Asylsuchenden. Die Schule dient nicht nur der Entwicklung des Kindes, sondern ist auch ein Ort der Integration und Teilhabe, auch für die Eltern. Die Beschulung in den ANKER-Einrichtungen ist nicht nur rudimentär, sondern verhindert die gesunde Entwicklung und die soziale Teilhabe des Kindes mit gleichaltrigen deutschen Kindern. Deshalb fordern wir den Schulbesuch in den Regelschulen vor Ort von Anfang an.

Hier unsere Dokumentation zum Download

Die nächsten Schritte:  
Am 26.9.2019 findet eine Expert*innenanhörung des Verfassungsausschusses zum Thema ANKER-Einrichtungen in Bayern statt.
Wir werden nach der Anhörung ein Antragspaket einbringen. Mit diesem Antragspaket fordern wir die Staatsregierung zu einer humanen Flüchtlingspolitik auf.