Grünes Fachgespräch: Ausbilden statt abschieben!

<p><strong>Ausbilden statt abschieben!<br>Grünes Fachgespräch zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt</strong></p>

07. Mai 2015

Spracherwerb, eine gute Schulbildung und die Chance auf eine dreijährige Ausbildung mit anschließender Berufstätigkeit. Gleichzeitig ein temporär gesicherter Aufenthaltsstatus. Das sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine gelungene Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden in den deutschen Arbeitsmarkt. Darüber herrschte beim Fachgespräch der Landtags-Grünen Einigkeit. Zehn Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultusministerium, Handwerkskammer und Gewerkschaft, aus Berufsschulen und Gemeinnützigen Organisationen informierten und diskutierten zum Thema Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Im Anschluss fand mit den Gästen aus ganz Bayern ein Austausch über schulische, gesetzliche und verwaltungstechnische Rahmenbedingungen statt.

Sprache, Sprache, Sprache
Grundlage und Voraussetzung für gelungene Integration sind gute Sprachkenntnisse. „Asylsuchende sollen vom ersten Tag an Gelegenheit haben, unsere Sprache zu lernen“, forderte Beate Walter-Rosenheimer (MdB). Die Kosten solle der Bund übernehmen, so die Sprecherin der Bundesgrünen für Jugendpolitik und Ausbildung. Für Bayern heißt das: „Aktuell brauchen wir eine Vervierfachung der professionellen Sprachförderung“, so die Einschätzung von Christine Kamm (MdL), Sprecherin der Bayerischen Grünen für Europa-, Asyl- und  Integrationspolitik.

Bildungsstatus von Flüchtlingen klären!
Neben professionellen Sprachkursen befürwortet Walter-Rosenheimer ein Clearingverfahren, in dem der Bildungsstatus von neu ankommenden Flüchtlingen geklärt wird. So können Flüchtlinge gezielt in die Stadt- oder Landkreise geschickt werden, wo passende Bildungsangebote existieren. Für die Beratung von Flüchtlingen veranschlagt Walter-Rosenheimer bundesweit 250 Millionen Euro im Jahr. „Uns entsteht ein dreifacher Mehrwert: Flüchtlinge integrieren sich durch den Spracherwerb und sie qualifizieren sich über Schulbesuch und Ausbildung. Zusätzlich gewinnen wir Fachkräfte, die wir dringend brauchen“, sagte Walter-Rosenheimer.

Agentur für Arbeit: Alle Akteure vernetzen
Ein Ziel der Agentur für Arbeit in Bayern ist derzeit, gute Beispiele für die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu erarbeiten. Seit 2012 wird verstärkt an Vernetzungen und Weiterbildungen gearbeitet, seitdem wurden rund 2.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Agentur geschult. 2014 wurden an sechs Standorten in Bayern Pilotprojekte gestartet, unter anderem in Augsburg. Dabei werden alle Akteure, wie IHK, Handwerkskammer, Gewerkschaft, Schulen, sowie gemeinnützige und kirchliche Organisationen vor Ort zusammengebracht.  „Das war ein harter Weg, aber die Integration in den Arbeitsmarkt gelang in vielen Fällen und die Bilanz ist positiv“, so Markus Schmitz, Vorsitzender der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. „Jetzt gilt es vor allem, unsere Erfahrungen auch anderen Agenturbezirken zugänglich zu machen.“ 

IHK: Das Drei-plus-zwei-Modell
„Der Forderung der IHK nach dem Drei-plus-zwei-Modell schließen wir uns gerne an“, sagte Margarete Bause (MdL) Fraktionsvorsitzende der Grünen. Das Modell sieht vor, dass Flüchtlinge in der dreijährigen Ausbildungszeit und in weiteren zwei Jahren Berufstätigkeit nicht abgeschoben werden dürfen. Die Ausbilder bekommen durch diese Regel mehr Planungssicherheit, den Auszubildenden wird eine Perspektive aufgezeigt. „Ausbilden statt abschieben“ lautete deshalb auch die Forderung von Hubert Schöffmann, dem Fachmann für Berufsbildung bei der IHK München und Oberbayern. Er sprach von einem „Damoklesschwert“, das permanent über den jungen Menschen hänge, wenn sie sich regelmäßig bei den Ausländerbehörden melden müssten, um ihre Duldung verlängern zu lassen. „Wie sollen Jugendliche in einer so unsicheren Situation konzentriert lernen und Zukunftsperspektiven entwickeln?“, fragte er.

Bayerische Behörden: Einheitliche Entscheidungen zugunsten der Flüchtlinge!
Christine Kamm, MdL, informierte in diesem Zusammenhang über einen weiteren Unsicherheitsfaktor: „Die einzelnen Ausländerbehörden in den bayerischen Landkreisen legen die gesetzlichen Vorgaben sehr unterschiedlich aus: In einem Landkreis müssen sich Flüchtlinge alle vier Wochen melden, um ihre Duldung zu verlängern, selbst  wenn ein fester Ausbildungsplatz nachgewiesen wird. In anderen Landkreisen wird bei gleichen Rahmenbedingungen die Duldung bis zu einem halben Jahr oder mehr verlängert. Eine solche ungleiche Behandlung innerhalb Bayerns darf nicht sein, alle Behörden sollten ihre Ermessensspielräume zugunsten der Flüchtlinge nutzen“, forderte Kamm. Auch Georg Schärl von der Handwerkskammer München und Oberbayern forderte die Behörden auf, die Verwaltungspraxis zu vereinheitlichen. Er sieht in beruflicher Bildung die beste Möglichkeit zur Integration. „Die familiären Strukturen, die in vielen Handwerksbetrieben herrschen, bilden ideale Voraussetzungen für ausländische Lehrlinge“, sagte Schärl. Und der Bedarf an Lehrlingen steige stetig: Gab es 2009 etwa 2.100 unbesetzte Lehrstellen in Bayern, so waren es 2014 bereits 4.700.

Gute Ausbildung schützt vor illegaler Beschäftigung und Ausbeutung
Robert Günthner, Abteilungsleiter des DGB Bayern sagte dazu: „Zum Glück führen wir die Debatte über Integration jetzt, wo wir eine aufnahmefähige Arbeits- und Ausbildungssituation in Deutschland haben.“ So entstehe für beide Seiten eine Win-win-Situation. „Eine gute Ausbildung und die Einbindung in reguläre Beschäftigung sowie eine Absicherung durch das Betriebsverfassungsgesetz verhindert außerdem die Ausbeutung von Flüchtlingen durch illegale Beschäftigung“, so Günthner.

Berufsvorbereitung in Bayern
Robert Geiger vom Bayerischen Staatsministerium informierte über ein zweijähriges Modell der Berufsvorbereitung für Jugendliche ohne Deutschkenntnisse, an dem 16- bis 21-Jährige teilnehmen können. Die Klassen haben im Durchschnitt 17,5 Schüler. Zurzeit gibt es 260 solcher Berufsschulklassen mit 4.500 Schülerinnen und Schülern. Gemessen an der Versorgung im Schuljahr 2010/2011, als es bayernweit sechs Berufsschulklassen für 100 Asylsuchende und Flüchtlinge gab, ist das eine enorme Steigerung in vier Jahren. „Trotzdem fehlt es leider bayernweit immer noch an Berufsintegrationsklassen“, sagte Christine Kamm. Geiger wies darauf hin, dass in den kommenden Jahren ein Ausbau der Berufsschulklassen auf „260 + x“ angestrebt werde. Außerdem sollten neue Berufsschulstandorte geschaffen werden und zusätzliche Lehrkräfte aus-und fortgebildet werden. 2015 erwartet das Kultusministerium 1.100 Absolventen aus den Berufsvorbereitungsklassen, im Jahr 2016 werden es um die 2.100 sein und in 2017 mindestens 7.000. Aufgrund der Nachfrage nach Auszubildenden ist die Prognose für die Absolventen gut.

Zwei weitere sichere Schuljahre: Das Zwei-plus-drei-plus-zwei-Modell
Eric Fincks, Schulleiter der Städtischen Berufsschule zur Berufsvorbereitung in München, berichtete, wie die Arbeit mit jungen Flüchtlingen in der Praxis aussehe. Derzeit gibt es zehn Klassen mit 195 Schülerinnen und Schülern an seiner Schule. Für das Schuljahr 2015/ 2016 sind 14 Klassen geplant. Die schulische Vorbildung variiert zwischen 0 und 12 Jahren Schulbesuch in der Heimat. „Im günstigsten Fall wurde bereits ein Deutschkurs absolviert“, so Fincks. Er bemängelte vor allem die verwaltungstechnischen Hürden und Unsicherheiten,  denen junge Flüchtlingen im laufenden Asylverfahren oder während ihrer Duldung ausgesetzt seien. “Die  permanente Unsicherheit führt bei unseren Schülerinnen und Schülern zu einer großen Nervosität im Alltag und beeinträchtigt ihre Leistungen“, sagte Frincks. „Ich wünsche mir deshalb eine Zwei-plus-drei-plus-zwei-Regel, also zwei zusätzliche Jahre Sicherheit vor Abschiebung, in denen die Jugendlichen in Ruhe die Schule besuchen können, bevor sie in die Berufsausbildung starten“, sagte Frincks.

Beratung und Unterstützung von vielen Seiten
Michael Stenger, der Vorstand des Trägerkreis Junge Flüchtlinge e.V. ist Mitbegründer der Münchner Schlau-Schule und ISUS  (Integration durch Sofortbeschulung und Stabilisierung). Er machte darauf aufmerksam, dass für die erfolgreiche Integration jugendlicher Flüchtlinge eine Vielzahl von Anlaufstellen wichtig sein. Nur wenn schulische Versorgung, eine gute Unterkunft, psychologische Betreuung und Asylrechtsberatung für die Flüchtlinge zur Verfügung ständen und diese Stellen miteinander vernetzt seien, dann könne man die Hilfe für die Jugendlichen optimieren. Er plädierte deshalb dafür, jugendliche Flüchtlinge nur in Städten mit solchen Kompetenzzentren unterzubringen. „Es ist ein Gebot der Humanität, den Flüchtlingen Arbeit zu ermöglichen“, sagte Christine Kamm abschließend.

Hier finden sie die Vorträge von MR Dr. Robert Geiger und Dr. Markus Schmitz

Grüne Forderungen:

•    deutliche Aufstockung des Sprachkursangebots hin zum B1/B2-Level und einen zügigen und adäquaten Zugang für Flüchtlinge und Asylsuchende (auch für Personen mit Aufenthaltsgestattung und Duldung); Sprachkurse sollen bereits nach dem Verlassen der Erstaufnahmeeinrichtungen flächendeckend möglich sein. Die bislang bereitgestellten Mittel sind absolut unzureichend, um die Nachfrage nach Deutschkursen abzudecken; die im aktuellen Haushaltsentwurf eingeplanten 3,7 Millionen Euro für Aufwendungen im Zusammenhang mit Deutschkursen und die Bundesmittel (BAMF-Kurse) müssen deutlich aufgestockt werden.

•    frühzeitige Kompetenzerfassung, gleich im Erstaufnahmeverfahren. Die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen muss vereinfacht und Kosten wie Zeit für die jeweiligen Verfahren reduziert werden, frühzeitige Einbindung der Kammern in die Gleichwertigkeitsprüfung ausländischer Abschlüsse bzw. Qualifikationsanalyse, Feststellung ergänzenden Qualifikationsbedarfs.

•    frühzeitiger Abgleich der Ergebnisse der Kompetenzerfassung mit den Lehrstellen- und Arbeitsplatzbörsen, im Idealfall Unterbringung der Asylsuchenden in der Nähe einer passenden Arbeits-/Ausbildungsstelle.

•    Betriebspraktika ermöglichen, auch für Asylsuchende mit 25 Jahren und älter, Antragsverfahren vereinfachen,  Mindestlohnproblematik klären.

•    AnsprechpartnerInnen für die Förderung der Berufsintegration der Flüchtlinge bei Jobcentern, Argen, Kammern, Ausländerbehörden.

•    sozialpädagogische Begleitung der Flüchtlinge, Case-Management sicherstellen.

•    Ausbau der Übersetzungskapazitäten in Bayern für die Beratung und Betreuung von Flüchtlingen.

•    Schutz vor Abschiebung bei Aufnahme von Ausbildungen; dazu bedarf es eines sicheren Aufenthaltes bis zum Abschluss der Ausbildung plus zwei Praxisjahre, Planungssicherheit für die Arbeitgeber wie für die Flüchtlinge, Beschleunigung der Verfahren, vorübergehend schnelle Erteilung von Aufenthaltstiteln auf Zeit.

•    schnelle Aufstockung schulischer Kapazitäten (Vervierfachung). Dazu gehört auch, den benötigten Lehrkräften angemessene Arbeitsbedingungen zu garantieren und nicht mit unattraktiven Zeitverträgen auszustatten. Wir brauchen eine intensive und individuelle Förderung, die es den Jugendlichen ermöglicht, mit guter Aussicht auf Erfolg in das deutsche Regelschul- und Ausbildungssystem einzusteigen.

•    begleitende Schulangebote in Deutsch und Mathematik auch während der Ausbildung.

•    eine Berücksichtigung von angemessener Betreuung, einem guten Schulangebot und Ausbildungschancen bei der Verteilung jugendlicher Flüchtlinge.

•    angemessene Kinderbetreuung, die den Eltern die Integration in den Arbeitsmarkt und den Kindern einen schnellen Spracherwerb ermöglicht.

•    mehr Übergangsklassen für die Flüchtlinge im Schulalter.

Den Link zur Pressekonferenz mit Margarete Bause, Christine Kamm, Lothar Semper (HWK) und Peter Driessen (IHK) finden Sie hier!

Die Fotos zum Fachgespräch und der Pressekonferenz finden Sie hier!