Gleichstellung und Queer

LGBT*IQ - Buchstabensalat oder 6-Gänge-Menü?

Es hätte keine schönere Nachricht am Vortag unseres Vernetzungstreffens mit der queeren Community im Bayerischen Landtag geben können: Die EHE FÜR ALLE ist da – endlich! Dass da die Korken knallen mussten, war klar. Dass sich unser Spitzenkandidat und Bundesvorsitzender Cem Özdemir das nicht entgehen lassen wollte, war auch klar.

05. Juli 2017

Mit rund 120 Gästen stießen Cem Özdemir, unser Fraktionsvorsitzender Ludwig Hartmann, die Landesvorsitzende Sigi Hagl und unsere Landtagsabgeordnete Margarete Bause auf den historischen Erfolg an, den Grüne zusammen mit vielen Aktivist*innen nach 30 Jahren Kampf endlich erreicht haben.

Ein schöner Moment! „Niemandem wird etwas genommen, aber vielen etwas gegeben. Denn es ist genug Ehe für alle da!“, so Cem Özdemir. Auch Ludwig Hartmann freute sich über diese überfällige Entscheidung: „Das zeigt, dass grüne Beharrlichkeit wirkt. Endlich hinkt Deutschland den 22 anderen Ländern nicht mehr hinterher in diesem Punkt. Endlich gelten gleiche Rechte für alle!“ Er dankte vor allem Volker Beck und den vielen Aktivist*innen der queeren Community für ihr jahrelanges Engagement.
Dass es trotz dieses Erfolgs noch viel zu tun gibt in der Queer-Politik zeigte die anschließende Diskussion, die von Zara Pfeiffer vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern e.V. moderiert wurde.

Die geladenen Expert*innen auf dem Podium widmeten sich der nicht ganz einfachen Frage: LGBT*IQ - Buchstabensalat oder 6-Gänge-Menü? Wie wir Sichtbarkeit für alle innerhalb und außerhalb der Community erreichen.

Ludwig Hartmann wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass es nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Community heftige Debatten und Konflikte gebe. Dabei gehe es unter anderem um die geringe Sichtbarkeit bestimmter Gruppen wie Lesben, Trans*menschen und Intersexuelle oder darum, ob People of Color (PoC) angemessen in der Community repräsentiert und akzeptiert seien. Wir müssten uns also fragen, wie die queere Community geschlossen nach außen wirken, aber trotzdem alle Gruppen und Individuen sichtbar machen könne? Wie könne eine „Hierarchie der Diskriminierten“ verhindert werden? Klar sei nämlich, dass der Rollback, den die neue Rechte im Kampf um Gleichstellung erreichen wolle, gemeinsam verhindert werden müsse. Und dies könne nur in Geschlossenheit gelingen.

Stephanie Kuhnen, Journalistin und Autorin beim Querverlag in Berlin, würdigte den großen Erfolg der Ehe für alle. Dennoch plädierte sie dafür, kritisch zu bleiben. Denn es bleibe noch viel zu tun. Die Unsichtbarkeit von Lesben sei ein großes Problem, dabei sei kein Mensch unsichtbar, sondern werde unsichtbar gemacht, also marginalisiert. Daher helfe es auch nicht, einfach ein „L“ in der „Buchstabensuppe“ von LGBT*IQ zu ergänzen, die sie insgesamt kritisch sehe. Wenn diese Begriffsbuchstaben immer zahlreicher würden, würde es nicht mehr um ein übergeordnetes gemeinsames Ziel gehen, sondern nur noch um die Identität der einzelnen. Die Kultur der Wertschätzung, die sich vor allem gegenüber Schwulen während des Kampfes um Gleichstellung entwickelt habe, habe es nicht gegenüber Lesben gegeben. „Wer Sexismus nicht konsequent bekämpft, kann nicht fortschrittlich werden.“, so Stephanie Kuhnen. Das gelte auch für die queere Community selbst. Sie beklagte weiter, dass in der breiten Berichterstattung wie jüngst zur Ehe für alle meistens schwule Paare auf Fotos abgebildet seien. Auch die erste offen lesbische Bundestagsabgeordnete Jutta Oesterle-Schwerin, lesben- und queerpolitische Pionierin, die sich mit zahlreichen parlamentarischen Initiativen für die Belange von Lesben und queeren Menschen eingesetzt habe, werde nicht ausreichend gewürdigt. Im Zuge der Diskussion mit dem Publikum wies Stephanie Kuhnen darauf hin, dass es zunehmend schwule, lesbische und Trans* Menschen unter den Rechten gebe. Mit diesem wachsenden Rechtspopulismus in den eigenen Reihen müsse sich die Community auseinandersetzen.

Till Randolf Amelung, Autor und Aktivist, der sich für die Belange von Trans* Menschen einsetzt, nahm Bezug auf den Vorwurf, dass Trans*menschen einfach unter dem Begriff LGBT*IQ vereinnahmt, aber gar nicht richtig vorkommen würden. Er plädierte dafür, dass sich die Community untereinander auf die Vielschichtigkeit einlassen und überlegen müsse, wie sie den Einzelnen in ihrer Vielschichtigkeit gerecht werde. Dennoch wies auch er darauf hin, dass im Kampf um mehr Gleichstellung kein Weiterkommen sei, wenn die Community damit beschäftigt sei, Identitäten zu priorisieren statt über unterschiedliche Standpunkte in der Sache zu debattieren. Zum Thema Rechtspopulismus in den eigenen Reihen forderte er, dass mit der Illusion aufgeräumt werden müsse, dass alle in der queeren Community auf demselben Stand der Debatte seien. Nicht alle queeren Menschen könnten in derselben „Ecke“ verortet werden.
Naim Balikavlayan vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern e.V. wies bei aller Freude über die Ehe für alle darauf hin, dass Deutschland dieses Recht erst sehr spät durchgesetzt habe. Außerdem würden Menschen mit Migrationsbiographie in der Gesellschaft, aber auch in der queeren Community nicht ausreichend wahrgenommen und seien oft rassistischer oder antisemitischer Diskriminierung ausgesetzt. Er kämpfe dafür, dass auch innerhalb der Migrant*innen-Communities Homophobie und Trans*feindlichkeit endlich wahrgenommen und bekämpft würden. Er ärgerte sich, dass – sobald es in einer Diskussion über Rassismus und Diskriminierung für die Gegenseite unangenehm werde – immer die Rede von der „Diskriminierungs-Keule“ sei. Er verstehe nicht, warum Sprechverbote erteilt würden, sobald emotional auf einen Missstand hingewiesen werde. Wenn es um persönliche, emotionale Diskriminierungserfahrungen gehe, müsse es doch möglich sein, diese emotional zu äußern und anzuprangern. Zum Vorwurf, die Begrifflichkeit LGBT*IQ sei zu verwirrend und die Sprache oft zu komplex, fragte Naim Balikavlayan: „Warum können wir es als Community nicht aushalten, dass z.B. Bisexuelle oder Trans* Menschen und Intersexuelle mit dem B, dem T* und dem I in der Begrifflichkeit sichtbar werden wollen?“ Menschen seien komplex, also sei die Sprache auch komplex. Das müsse eben so akzeptiert werden.

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurden die zwiegespaltenen Meinungen zum Thema deutlich. Während einige dafür plädierten, die vielen Begrifflichkeiten, die es für die unterschiedlichen Gruppen in der Community gebe, zu bündeln oder zusammenzufassen, warnten andere davor, alle Menschen in einen Topf zu werfen und sie nicht mehr in ihrer Vielschichtigkeit und ihren unterschiedlichen Biographien und Erfahrungen wahrzunehmen. Große Übereinstimmung herrschte in der Feststellung, dass die Community geeint und stark gegen die neue Rechte kämpfen und den Rollback aufhalten müsse. Das unterstrich auch Ludwig Hartmann in seinen abschließenden Worten: „Der Weg zu einer Einheit in Vielfalt ist auch hier weit. Das bleibt ein Dilemma und unsere große Herausforderung. Der gemeinsame Feind aber ist klar: die neue Rechte und ihre Angriffe auf Menschen, die anders sind und anders lieben.“

Im Anschluss an die Diskussion gelang es der Improtainment-Künstlerin Billa Christe aus Berlin mit ihren Szenen zu lesbischem Coming-Out und lesbischem Alltagsl(i)eben auf wunderbare Weise, den Saal in Bewegung, zu selbstironischem Schmunzeln und zu herzhaftem Lachen zu bringen. Ein sehr gelungener Übergang zum anschließenden Empfang, den DJane Eléni aus München mit Party-Musik unterlegte und weiter zu guter Laune beitrug.