Hilfen für gewaltbetroffene Frauen in Bayern ausbauen

Demütigen, beleidigen, benutzen, kontrollieren, einsperren, belästigen, missbrauchen, vergewaltigen, schlagen, ermorden: Gewalt an Frauen hat viele Gesichter...</p><p>

08. Juli 2014

Im Jahr 2010 gab es allein in Bayern 18.000 Fälle von häuslicher Gewalt. Alle zwei bis drei Tage wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet, erlebt jede vierte Frau Gewalt durch den Beziehungspartner und berichten 58 % der Frauen in Deutschland von sexueller Belästigung. Immer mehr Frauen suchen deshalb Hilfe und Unterstützung bei Beratungsstellen oder flüchten in eines der 38 staatlich geförderten Frauenhäuser in Bayern, die aber weder genug Personal noch genug finanzielle Mittel haben, um allen Betroffenen helfen zu können.

Bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt gegen Frauen stehen wir vor einer komplexen Aufgabe: Die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen ist erforderlich. In Kooperations- und Interventionsprojekten müssen daher Vertreterinnen und Vertreter aller Einrichtungen, Institutionen, Projekte und Professionen einer Region zusammenkommen, die sich im Kampf gegen häusliche Gewalt einsetzen oder dafür gesellschaftliche Verantwortung tragen.

Fakt ist: die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.
Fakt ist auch: die Finanzierung stagniert seit Jahren und bietet den Einrichtungen keine Planungssicherheit.
Verena Osgyan: „Das ist fahrlässige Ignoranz gegenüber den betroffenen Frauen und Kindern! Die Ausstattung der Frauenhäuser und Hilfseinrichtungen ist desaströs und der Freistaat bagatellisiert das Problem.“
Kerstin Celina: „Die Frauenhausplätze reichen schon lange nicht mehr. Allein in Unterfranken mussten im letzten Jahr insgesamt 310 Frauen in Not abgewiesen werden! Das kann nicht im Interesse des Freistaats sein!“


Die Landtags-Grünen haben deshalb ein Antragspaket geschnürt, das die Staatsregierung auffordert, endlich ihrer Verantwortung nachzukommen und wirksamen Schutz für Frauen vor häuslicher Gewalt langfristig und bedarfsgerecht sicherzustellen. In unserer Pressekonferenz haben wir die Anträge zusammen mit Melanie Schauer von der Frauenhilfe München vorgestellt.

1.    Der Freistaat bagatellisiert das Problem

Der Freistaat nimmt das Problem der häuslichen Gewalt gegen Frauen nicht als gesellschaftliches Problem ernst, sondern bagatellisiert und bietet für die Opfer viel zu wenig Hilfe. 38 staatlich geförderte Frauenhäuser bieten insgesamt 340 Plätze für Frauen und über 400 Plätze für Kinder. Nach einer vergleichenden Studie der Bundesregierung hat Bayern mit einer Quote von 1,17 Plätzen pro 10.000 Einwohnerinnen die zweitniedrigste Versorgungsquote von allen Bundesländern.

Diese Zahlen stehen in eklatantem Widerspruch zur Zunahme der häuslichen Gewalt: 2005 wurden bayernweit noch 12.760 Fälle registriert, 2013 bereits 19.438 Fälle, bei unbekannter Dunkelziffer. Das Problem nimmt zu und die Staatsregierung bleibt untätig. Wir halten das für eine fahrlässige Ignoranz gegenüber betroffenen Mädchen und Frauen. Die Initiative der Sozialministerin Emilia Müller kommt reichlich spät und ist reine Verzögerungstaktik, denn die Zahlen und Fakten liegen doch längst auf dem Tisch.

2.    Die derzeitige Finanzierung der Hilfseinrichtungen ist beschämend

Die finanzielle Ausstattung der Hilfestellen – Frauenhäuser, Frauennotruf, Frauenberatungsstellen, Opferhilfe – ist desaströs. Der staatliche Personalkostenzuschuss für die Frauenhäuser und die Sachkosten- und Personalförderung für die Notrufe wurde zuletzt zum 1. Januar 2009 um 13 Prozent erhöht. Die finanzielle Ausstattung der Einrichtungen muss von kommunaler Ko-Finanzierung entkoppelt und als gesetzliche Pflichtleistung abgesichert werden. Die Mittel müssen automatisch an die Entwicklungen angepasst, dynamisch erhöht und verstetigt werden. Es kann nicht sein, dass die Hilfe für und der Schutz von gewaltbetroffenen Frauen unserem Freistaat so wenig wert ist, dass die Hilfestellen jedes Jahr erneut um ihre Existenz bangen müssen.

3.    Der Freistaat muss die pro-aktive Beratung ausbauen

Das Angebot an Kooperations- und Interventionsprojekten mit pro-aktivem Beratungsansatz ist äußerst mangelhaft. Allein in Bayern gab es 2010 fast 18.000 Fälle von häuslicher Gewalt. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle sind Frauen Opfer der Gewalt. Die Täter kommen zum größten Teil aus dem direkten persönlichen Umfeld der Opfer. Oft sind Kinder Zeugen der gewalttätigen Übergriffe. Pro-aktive Beratungsangebote müssen dringend als Teil des gesamten Präventions- und Interventionssystems ausgebaut werden.

4.    Frauen mit Behinderung sind besonders betroffen und brauchen spezialisierte Angebote

Die Studie „Lebenssituationen und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2012 veröffentlicht hat, verdeutlicht, dass vor allem Frauen mit Behinderungen bislang unzureichend vor körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt geschützt sind. Dies ist auch in Bayern nicht anders.

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind teilweise zwei- bis dreimal häufiger von (sexualisierter) Gewalt betroffen als Frauen und Mädchen ohne Behinderung.

Gleichzeitig ist das Angebot an Frauenhausplätzen für Frauen und Kinder mit Behinderungen nach wie vor völlig unzureichend. Dies betrifft sowohl die Barrierefreiheit (räumliche Ausstattung, Gebärdendolmetscher, blindengerechte Einrichtung etc.) als auch die Beratungsangebote, die bisher nur in Einzelfällen behinderungsadäquat erfolgen können. Auch für sehr junge Frauen, für akut suchtmittelabhängige Frauen oder für akut psychisch erkrankte Frauen müssen Angebote geschaffen werden.

Die grünen Anträge im Einzelnen:

1. Einrichtung von Interventions- und Beratungsstellen mit einem pro-aktiven Beratungsansatz

Pro-aktive Beratungsstellen sind ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung häuslicher Gewalt und dienen der wirksamen Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes. Die Interventionsstellen werden in der Regel nach einem Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt tätig und nehmen aktiv Kontakt zu den betroffenen Frauen auf. Der Freistaat muss die notwendigen finanziellen Mittel für die pro-aktive Beratung in den kommenden Doppelhaushalt einstellen und wird aufgefordert, in Kooperation mit den bayerischen Frauenhäusern, Frauennotrufen und Beratungsstellen dem Landtag umgehend ein Konzept für ein flächen- und bedarfsdeckendes Angebot an Interventions- und Beratungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen vorzulegen.

2. Anpassung der Fördersätze für Frauenhäuser und Notrufe an die Kosten- und Gehaltsentwicklung

Die Staatsregierung muss die in der „Richtlinie für die Förderung von Frauenhäusern in Bayern“ und die in der „Richtlinie zur Förderung von Notrufen für von sexualisierter Gewalt und häuslicher Gewalt betroffene Frauen und von sexualisierter Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche in Bayern“ festgelegten Fördersätze an die allgemeine Kosten- und Gehaltsentwicklung anpassen.

3. Überprüfung der fachlichen und personellen Vorgaben sowie der Versorgungsquoten aus dem „Gesamtkonzept für Frauenhäuser in Bayern“ auf der Basis einer bayernweiten Bedarfsanalyse

Die Staatsregierung muss die im „Gesamtkonzept für Frauenhäuser in Bayern“ und in den „Richtlinien für die Förderung von Frauenhäusern und Notrufen in Bayern“ festgelegten Vorgaben für eine bedarfsgerechte Versorgung sowie die dort enthaltenen Fachkraftquoten und die qualitativen Standards zu überprüfen.

4. Einrichtung regionaler Fachberatungsstellen zur Prävention und Intervention bei Gewalt gegen Frauen mit Behinderung

Die Staatsregierung wird aufgefordert, zur flächendeckenden Versorgung Bayerns mit Präventions- und Interventionsangeboten gegen (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen mit Behinderung mehrere regionale Fachberatungsstellen als Modellprojekt einzurichten. Diese pro-aktiven Fachberatungsstellen halten für die betroffenen Frauen mit Behinderung sowohl Beratungs- als auch Therapieangebote vor. Außerdem sollen sie für Bezugspersonen und persönliche Assistenzen sowie für Fachkräfte in Einrichtungen der Behindertenhilfe spezielle Beratungs- und Qualifizierungsangebote entwickeln und für Schulen, Kindertagesstätten und Einrichtungen der Behindertenhilfe aufsuchende Präventions- und Interventionsangebote durchführen.

5. Spezialisierte und barrierefrei zugängliche Schutz- und Beratungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen mit Behinderung und für Frauen mit einer psychischen Erkrankung ausbauen

Die Staatsregierung wird aufgefordert, angesichts der besonders hohen Gewaltbetroffenheit von Frauen und Mädchen mit Behinderungen und von Frauen mit einer psychischen Erkrankung spezialisierte und barrierefrei zugängliche Schutz- und Beratungsangebote bedarfsgerecht auszubauen. Für das Personal in Frauenhäusern, Notrufen und Fachberatungsstellen müssen entsprechende Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen angeboten werden. Frauennotrufe und Fachberatungsstellen müssen in die Lage versetzt werden, im Bedarfsfall auch aufsuchende Beratung zu Hause oder in einer stationären Eirichtung anbieten zu können. Beratungsangebote für gewaltbetroffene Frauen von Selbsthilfeorganisationen wie den Netzwerkfrauen Bayern müssen weiter ausgebaut werden.