Gesundheit und Pflege

Keine Stigmatisierung Betroffener durch polizeiliche Speicherung von Krankheitsmerkmalen

Welt-AIDS-Tag am 1.12.17: Polizeiliche Vermerke zur Ansteckungsgefahr auf den Prüfstand stellen

30. November 2017

Die Polizei speichert in ihren Datenbanken, insbesondere im Kriminalaktennachweis und im Informationssystem der Bayerischen Polizei, nicht nur Daten zu Personalien. Es werden auch Informationen darüber gesammelt, ob von den betroffenen Personen eine Ansteckungsgefahr ausgeht aufgrund bestimmter ansteckender Krankheiten (HIV, Hepatitis B und C). „Mehr als 14.000 Bayerinnen und Bayern sind von der Speicherung des ‚Personengebundenen Hinweises Ansteckungsgefahr‘ (PHW ANST) betroffen“, erklärt die datenschutzpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Verena Osgyan. „Das derart viele Menschen in Bayern polizeilich gespeichert sind, ist höchstbedenklich. Viele der Betroffenen fühlen sich zu Recht stigmatisiert. Und sowohl die Praxis als auch die Dauer der Speicherung sind nicht nur teils intransparent, sondern auch unsinnig, schon aus medizinischen Gründen. Der PHW ANST sollte in seiner jetzigen Form abgeschafft und durch anderweitige Schutzmaßnahmen für die Polizei ersetzt werden.“

Die Landtags-Grünen fordern, die Vermerke zur Ansteckungsgefahr zu löschen, wenn keine Gefährdung durch die Betroffenen mehr vorliegt oder die Speicherung ungerechtfertigt ist. Die Mehrzahl der Menschen, die von ihrer HIV-Infektion wissen, sind nicht ansteckend. Hepatitis B und C ist mit modernen Medikamenten sogar heilbar. „Da ist das CSU-Innenministerium nicht auf dem neuesten Stand, wenn sie der Ansicht ist, dass jede und jeder Infizierte lebenslang als potenziell ansteckungsfähig anzusehen ist‘“, kritisiert Verena Osgyan.

Die Landtags-Grünen danken den Aids-Hilfen in Bayern, die hervorragende Arbeit für alle Betroffenen und ihre Angehörigen leisten. Manfred Schmidt von der AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth e.V. begrüßt die grüne Initiative: „Die Speicherung von Krankheitsmerkmalen schürt unnötige Ängste vor Menschen mit HIV und trägt zur Diskriminierung von Betroffenen bei.“

Den grünen Antrag finden Sie hier als PDF.


Interview mit Manfred Schmidt von der AIDS-Hilfe

Sie kämpfen schon lange dafür, dass das Merkmal "Ansteckungsgefahr bei HIV-Kranken" nicht mehr in der Polizeidatenbank gespeichert wird.  Was ist das Problem an der Speicherung?

Schmidt: Die Speicherung schützt Polizistinnen und Polizisten nicht vor Infektionen mit HIV. Die Ansteckungsgefahr mit HIV ist nämlich dann am höchsten, wenn Menschen sich selbst erst kürzlich angesteckt haben und noch gar nicht wissen, dass sie HIV haben. Die mit ANST gespeicherten  Menschen mit HIV sind dagegen in der Regel therapiert und deshalb gar nicht mehr infektiös. Die Speicherung schürt damit unnötige Ängste vor HIV-Positiven und trägt zur Diskriminierung von Betroffenen bei. Die Angst vor Diskriminierung führt wiederum dazu, dass Menschen trotz HIV-Risiken nicht zum Test gehen. Aktuell gibt es in Deutschland ca. 12.700 Menschen mit HIV, die von ihrer Infektion nichts wissen, in Bayern ca. 1.600. Wer nicht weiß, dass er HIV hat, profitiert auch nicht von den Erfolgen der HIV-Therapie und kann auch heute noch an AIDS erkranken, obwohl das vermeidbar wäre.

14.000 Personen sind in Bayern gespeichert. Wie wirkt sich das im Alltag auf diese betroffenen Personen auf, wenn die mit der Polizei zu tun haben?

Schmidt: Die meisten wissen vermutlich gar nicht, dass sie gespeichert sind und Polizistinnen und Polizisten dürfen das eigentlich auch nicht sagen. In Nürnberg kennen wir aber einen Fall, in dem ein Betroffener in Begleitung einer Bekannten in eine Polizeikontrolle geriet und die Beamtin ihren Kollegen so laut zurief: „Vorsicht – er ist ansteckend!“, dass seine Begleiterin und Passanten das hören konnten. Die Betroffenen werden wie Aussätzige behandelt obwohl die HIV-Infektion heutzutage, wenn sie frühzeitig erkannt und behandelt wird ein langes beschwerdefreies Leben ermöglicht. Menschen mit HIV leiden also weniger an Symptomen, die das Virus in ihrem Körper verursacht sondern mehr an den Zuschreibungen, die eine HIV-Infektion auch 2017 noch immer zu einer besonderen Krankheit machen.


Wie bewerten Sie das Risiko, dass sich Polizistinnen und Polizisten im Dienst mit HIV anstecken? Wie viele Fälle sind Ihnen bekannt, bei denen sich PolizistInnen im Dienst mit HIV angesteckt haben?

Schmidt: Mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem sich Polizistinnen oder Poliszisten im Rahmen ihrer Dienstausübung mit HIV angesteckt haben. HIV wird ganz überwiegend auf sexuellem Weg übertragen, durch Anal- und Vaginalverkehr ohne Kondom. Neben der sexuellen Übertragung können sich Drogengebraucher_innen mit HIV anstecken, wenn sie ihr Spritzbesteck mit anderen teilen und gemeinsam benutzen. Das HIV-Risiko bei Blutkontakt wird völlig überschätzt und spielt praktisch kaum eine Rolle.

4. Die Speicherung der Ansteckungsgefahr dient dem Schutz der PolizistInnen. Wie können/sollten PolizistInnen sich im Dienst vor ansteckenden Krankheiten schützen?

Schmidt: Mir ist klar, dass es im Polizeialltag häufig Situationen gibt, wo es aggressiv zur Sache geht und Bedienstete mit allen erdenklichen Körperflüssigkeiten konfrontiert werden. Ich kann auch nachvollziehen, dass man sich dann Sorgen um seine Gesundheit macht, denn am Ende kann kein Experte 100%ig ausschließen, dass es nicht doch zu einer Infektion kommen könnte. Wer selbst eine Stich- oder Schnittverletzung erleidet und dann mit fremdem Blut oder Wundflüssigkeit kontaminiert wird oder Blut ins Auge oder die Mundhöhle bekommt, sollte - wenn möglich - Auge und Mund mit Wasser spülen; die Wunde ausbluten lassen und - wenn verfügbar- mit Antiseptikum spülen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, eine HIV-PEP (Postexpositionsprophylaxe) durchzuführen, d.h. so rasch wie möglich eine vierwöchige Einnahme von Medikamenten beginnen, um eine mögliche HIV-Infektion nachträglich zu verhindern.