Rechtsextremismus

Lagebild Rechtsextremismus in Bayern 2019

Seit dem Jahr 2014 dokumentieren wir als Grüne Landtagsfraktion jährlich die wichtigsten Trends und Entwicklungen im Bereich des Rechtsextremismus. Grundlage unseres umfangreichen Lageberichts ‚Rechtsextremismus in Bayern 2019‘ sind eine Vielzahl von schriftlichen Anfragen an die Staatsregierung. Durch unsere kontinuierliche Arbeit können wir auf aktuelle Gefahren hinweisen und entsprechende politische Gegenmaßnahmen einfordern.

09. Juni 2020

Die Zahl der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten ist im vergangenen Jahr wieder deutlich auf rund 2.100 Delikte angestiegen, nachdem sie in den beiden Vorjahren auf 1.965 (2017) bzw. 1.833 (2018) leicht gesunken war. Während sich die Zahl der rechtsextremen Gewaltdelikte mit 61 Taten ungefähr auf dem Niveau des Vorjahres bewegt, ist die Zahl der sonstigen Straftaten, wie Drohungen, Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Volksverhetzung oder das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen und Symbole, deutlich um über 20 Prozent auf 2.042 Straftaten gestiegen. Jeden Tag passieren also in Bayern zwischen fünf und sechs rechtsextreme Straf- und Gewalttaten. Die meisten Gewaltdelikte sind rassistisch (48) oder antisemitisch (5) motiviert. Insgesamt wurden 71 Personen Opfer rechter Gewalt. Bisher kam es nur in sechs Fällen zu einer Verurteilung des oder der Täter. Diese Zahlen zeigen die anhaltend hohe Gewaltbereitschaft und kriminelle Energie der rechtsextremen Szene.

Besonders erschreckend ist die akute Gefährdung durch rechten Terrorismus. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der antisemitisch motivierte Anschlag auf die Synagoge in Halle haben im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit wach gerüttelt. Mit dem rassistischen Massaker an Besuchern von Shisha-Bars in Hanau wurde die Serie rechter Anschläge auf fürchterliche Weise in diesem Jahr fortgesetzt. Leider hat die öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf rechten Terrorismus durch die aktuelle Corona-Krise schon wieder deutlich nachgelassen.

Auch in Bayern existiert eine akute Gefährdung durch rechte Terroranschläge. Erst im Februar 2020 haben die Sicherheitsbehörden eine rechtsextreme Terrorzelle um den Augsburger Werner S. ausgehoben. Unter den bundesweit 12 verhafteten Gruppenmitgliedern befanden sich auch drei Personen aus Bayern. Die Gruppe plante Anschläge auf Moscheen und Attentate auf GRÜNE Politiker. Die Mitglieder stammen überwiegend aus dem Umfeld rechtsextremer Bürgerwehren wie ‚Wodans Erben Germanien‘, ‚Soldiers of Odin‘ oder ‚Vikings Security Germania‘. Obwohl sie offensichtlich als Rekrutierungsbasis für eine rechtsextreme Terrorgruppe dienten, wurde bisher keine der genannten Bürgerwehren von den Behörden verboten.

Eine akute Bedrohung bedeuten auch neue neonazistische Terrorgruppen wie die ‚Atomwaffen Division‘ oder die ‚Feuerkrieg Division‘, die international agieren und sich über Internetforen und Imageboards wie ‚Iron March‘ oder ‚Facist Forge‘ organisieren. Der Anführer der deutschen Sektion der ‚Feuerkrieg Division‘ wurde im Februar 2020 im oberpfälzischen Cham verhaftet. Bei ihm wurde gleich ein ganzes Arsenal an Waffen sichergestellt. Ein weiterer bayerischer Neonazi hat sich in der Vergangenheit an Schießtrainings der ‚Atomwaffen Division‘ beteiligt. Beide Gruppen rufen zu einem „totalen Bürgerkrieg“ auf und propagieren offen den Mord an Muslimen, Imamen und Rabbinern. Auch GRÜNE Politiker wie Claudia Roth oder Cem Özdemir erhielten Morddrohungen im Namen der ‚Atomwaffen Division‘. In den USA wird die Atomwaffen Division bereits für fünf Morde verantwortlich gemacht. Diese neuen im virtuellen Raum global vernetzten Gruppen sind extrem gefährlich und müssen unbedingt als terroristische Vereinigungen behandelt und umgehend zerschlagen werden.

Bayern ist auch die Hochburg der konspirativen Aktivitäten der militanten Skinheadorganisationen ‚Blood & Honour‘ und ‚Combat 18‘. Aus dem Umfeld dieser Gruppierungen stammten auch die wichtigsten Unterstützer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Obwohl ‚Blood & Honour‘ in Deutschland bereits seit dem Jahr 2000 verboten ist, wurde der ‚bewaffnete Arm‘ der Organisation, ‚Combat 18‘, erst im Januar 2020 auf starken öffentlichen Druck durch Innenminister Seehofer verboten. Auf das Verbot folgte eine bundesweite Durchsuchungswelle, erstaunlicherweise ohne Durchsuchungen in Bayern.

Laut Innenminister Herrmann gibt es keine aktiven Strukturen von Combat 18 in Bayern. Das erstaunt sehr, ist Bayern doch das Zentrum eines konspirativen Netzwerks, welches sich seit dem Verbot von ‚Blood & Honour‘ um die illegale Fortsetzung der Strukturen bemüht. Die bayerische Sektion des Netzwerks arbeitet dabei hochkonspirativ. Sie hat ihren Schwerpunkt im oberbayerisch-österreichischen Grenzland. Ihr mutmaßlicher Chef stammt aus Bad Reichenhall. Weitere führende Mitglieder kommen aus Oberaudorf im Inntal oder aus Schliersee.

Bereits im Dezember 2018 kam es zu einer bundesweiten Razzia wegen der illegalen Fortsetzung der verbotenen Organisation. Acht von fünfzehn durchsuchten Objekten lagen damals in Bayern. Dem Netzwerk geht es auch um die kommerzielle Vermarktung der Marken ‚Blood & Honour‘ bzw. ‚Combat 18‘. U.a. waren bayerische Aktivisten an der Produktion des berüchtigten Musiksamplers ‚Combat 18 Deutschland‘ beteiligt. Im Juli 2019 wurden im Namen von ‚Blood & Honour‘ und ‚Combat 18‘ bundesweit Drohbriefe an Moscheen, islamische Zentren, Parteizentralen und Medien versandt. Betroffen waren auch zwei Münchener Moscheen und bayerische Ankerzentren. Auch hier lag der Schwerpunkt der polizeilichen Maßnahmen wiederum in Bayern. Bei ‚Blood & Honour‘ und ‚Combat 18‘ handelt es sich um gefährliche kriminelle Vereinigungen, die auch als solche behandelt und vollständig zerschlagen werden müssen.

Obwohl auch Innenminister Herrmann bei der Präsentation des bayerischen Verfassungsschutzberichtes erstmals einräumen musste, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Innere Sicherheit in Deutschland darstellt, werden nur drei Personen in Bayern von den zuständigen Behörden als rechtsextreme Gefährder eingestuft, denen auch die Begehung von schweren Gewalttaten bis hin zu terroristischen Anschlägen zugetraut wird. Weitere 17 Personen werden als ‚relevante Personen‘ zu einem möglichen Unterstützerumfeld gezählt.

Jahrelang haben bayerische Sicherheitsbehörden überhaupt keine Gefahren durch rechten Terrorismus wahrgenommen. Hier handelt es sich um eine grobe Verharmlosung. Allein 1.000 Personen gehören laut Verfassungsschutz in Bayern zur gewaltbereiten rechtsextremen Szene. Der Personenkreis, dem auch schwerste Anschläge zugetraut werden müssen, hat sich durch die Radikalisierung über soziale Netzwerke und Internetforen erheblich ausgeweitet. Dies zeigen die Anschläge in Halle und Hanau auf dramatische Weise. Auch die rechtsextreme Szene in Bayern verändert sich grundlegend, sie ist fragmentierter und aktionistischer geworden und hat sich erheblich radikalisiert.  Gleichzeitig modernisieren sich Teile der Szene und suchen Anschluss an die Mitte der Gesellschaft. Wir haben bisher nicht den Eindruck, dass die Sicherheitsbehörden auf diese neuen Entwicklungen adäquat vorbereitet sind.

Stark zugenommen hat im vergangenen Jahr auch die Zahl der rassistischen Straf- und Gewalttaten gegen Migrant*innen und Geflüchtete. So ist die Zahl der Straftaten gegen Geflüchtete, ihre Unterkünfte und ihre Helfer*innen 2019 auf 173 gestiegen, während es 2018 nur 38 Taten waren. Fast alle Taten werden dabei der rechtsextremen politischen Kriminalität zugeordnet. Überwiegend handelt es sich um Fälle von Volksverhetzung oder Beleidigung. In 23 Fällen kam es jedoch auch zu Gewalttaten wie (gefährlichen) Körperverletzungen oder Raub. Insgesamt konnten 113 Tatverdächtige ermittelt werden. Immer wieder kam es im vergangenen Jahr auch zu ‚Streifengängen‘ und Aktionen rechtsextremer Bürgerwehren vor oder in Flüchtlingsunterkünften. Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hat sich 2019 auf 25 erhöht (2018 waren es 18).

Erschreckend ist auch die starke Zunahme antisemitischer Straf- und Gewalttaten. Die Zahl der angezeigten antisemitischen Delikte hat sich 2019 mit 310 auf ein neues Rekordniveau erhöht. Schon im Jahr 2018 hat es eine starke Zunahme auf 219 Delikte gegeben. Zu den Straftaten gehören Volksverhetzung, Sachbeschädigung, Bedrohung, Beleidigung und Verleumdung. In 11 Fällen kam es auch zu antisemitisch motivierten Gewalttaten. 296 Taten werden dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet. Die meisten tatverdächtigen Personen (198 von 217) hatten die deutsche Staatsangehörigkeit. Auffallend ist mit 73 Tatverdächtigen der hohe Anteil an jugendlichen Täter*innen. Ausländische Täter*innen spielen so gut wie keine Rolle. Nur jeweils zwei Taten werden dem Bereich des Islamismus und ausländischen Extremismus zugeordnet.

Stark zugenommen haben aktuell auch antisemitische Verschwörungstheorien. So hat der Täter des Anschlags auf die Synagoge in Halle in seinem Manifest die Juden für die Einwanderung von Muslimen nach Deutschland verantwortlich gemacht und sich selbst als Anhänger der verschwörungstheoretischen QAnon-Bewegung bezeichnet. Auch die AfD verbreitet antisemitische Verschwörungsideologien. So sprach Björn Höcke beim süddeutschen Flügeltreffen im fränkischen Greding im Mai 2019 vom „volkszerstörenden und als pervers zu bezeichnenden Ungeist“ den der jüdische Milliardär und Philantroph George Soros verbreiten würde. Bundeskanzlerin Angela Merkel beschimpfte er in diesem Zusammenhang als „Soros-Kundin“.

Im Januar 2019 wurde die gesamte AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz zum ‚Prüffall‘ erklärt. Die Parteijugend ‚Junge Alternative‘ und der völkisch-nationalistische ‚Flügel‘ der Partei wurden zeitgleich zum ‚Verdachtsfall‘ erklärt. Seitdem dürfen in Bayern JA und Flügel auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Seit März  dieses Jahres gilt dies auch bundesweit für den ‚Flügel‘, der vom Bundesverfassungsschutz offiziell zum Beobachtungsobjekt erklärt wurde. Dadurch hat sich der politische Druck auf die AfD soweit erhöht, dass der ‚Flügel‘ im April 2020 seine Selbstauflösung erklärt hat.

Allerdings werden immer noch zahlreiche AfD Landesverbände und AfD-Fraktionen von Anhängern des Flügels dominiert. Dies gilt nicht nur für Ostdeutschland, sondern auch für Bayern. So stellt der Flügel mit Katrin Ebner-Steiner die Fraktionsvorsitzende und mit Christoph Maier den parlamentarischen Geschäftsführer der AfD im bayerischen Landtag. Auch im Landesverband der AfD spielt der Flügel eine wichtige Rolle. So hat die neue Landesvorsitzende Corinna Miazga die Erfurter Erklärung , das Gründungsdokument des Flügels, unterschrieben.

Die Junge Alternative in Bayern gilt ebenfalls als sehr Flügelnah und hat mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz prominente Vertreter der ‚Flügels‘ zu ihren Veranstaltungen eingeladen. Sie verfügt außerdem über enge Verbindungen zu rechtsextremen Burschenschaften wie der ‚Danubia‘ in München oder der ‚Markomannia‘ in Passau und zur rechtsextremen Identitären Bewegung. Wir fordern deshalb, dass die AfD insgesamt zum Beobachtungsobjekt der Sicherheitsbehörden in Bayern erklärt werden muss.

Zum Download:
Das umfassende Lagebild Rechts 2019
Pressepapier zum Lagebild Rechtsextremismus in Bayern 2019