"Wir können die Probleme nur gemeinsam mit dem Westen lösen"

Gespräch über die Zukunft Afghanistans: Khazan-Gul Tani zu Gast im Bayerischen Landtag. In seiner Heimat, dem Osten Afghanistans, ist Khazan-Gul Tani ein berühmter wie geachteter Mann. Nachdem im vergangenen Jahr deutsche Autoren die Biografie des ehemaligen Bildungsministers der Region Khost veröffentlichten, der selbst lange in Deutschland gelebt hatte, nehmen auch hierzulande immer mehr Menschen Notiz vom Wirken dieses Mannes, der seit Jahrzehnten Vorkämpfer eines freien Afghanistans ist.

04. April 2014

Eines Afghanistans, das allen Bevölkerungsgruppen - in den Städten, auf dem Land, Männern und Frauen - gerecht wird. Auf Einladung der Grünen Fraktion referierte Khazan-Gul Tani wenig Tage vor den Präsidentschaftswahlen über die aktuelle Lage in der seiner Heimat und zeichnete eine Lösung für das seit Jahrzehnten kriegsgebeutelte Land auf.

Auf der Schwarzen Liste der Taliban findet sich sein Name so weit oben wie einst auf der des Kreml. Zehn Jahre lang hatte Khazan-Gul Tani die sowjetischen Besatzer in seiner Heimatregion Khost im Osten Afghanistans, einer Gebirgsregion nahe der Grenze zu Pakistan, bekämpft. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verließen die Truppen das Land, und Khazan-Gul Tani erlebte wenige Jahre des Friedens, als Lehrer und Bauer ernährte er seine 16-köpfige Familie.
Als Mitte der Neunzigerjahre der Einfluss islamistischer Taliban wuchs, die aus Pakistan über die Grenze strömten, geriet auch er ins Visier der selbsternannten Gotteskrieger. Nicht zuletzt sein Studium in Frankfurt, sein unermüdlicher Einsatz für Bildung – auch und gerade für Mädchen und Frauen -, gepaart mit persönlichem Ansehen und Einfluss in seiner paschtunischen Heimat, machten ihn den Steinzeit-Islamisten zum Feind. Man sperrte ihn ein. Nach dem Ende der Taliban-Herrschaft wirkte Tani einige Zeit lang als Erziehungsminister seiner Provinz, war aber schnell desillusioniert vom Wirken der Karzai-Regierung in Kabul - für ihn "nicht die legitime, sondern eine erkaufte Regierung".

Berühmt wurde Khazan-Gul Tani  im Westen, als das Autoren-Team Monika Koch und Heiner Tettenhorn im vergangenen Jahr seine Biografie "Der Unbeugsame" veröffentlichte. Heute wirkt Tani  in seiner Heimat als Repräsentant der "Kinderhilfe Afghanistan“, die vom ehemaligen Bundeswehr-Arzt Dr. Reinhard Erös gegründet wurde. Mit deutschen Spendengeldern baut Khazan-Gul Tani Schulen. Derzeit bereist der Mann, der um 1945 geboren wurde („das genaue Datum weiß ich nicht“), Deutschland, besucht Schulen und unterschiedliche Institutionen. Dank seiner Sprachkenntnisse versteht er es,  ein authentisches Bild der Zustände in seiner Heimat zu zeichnen. Auf Einladung von  Claudia Stamm war er am Donnerstag zu Gast in der Landtagsfraktion, um mit Abgeordneten und Mitarbeitern die prekäre sicherheitspolitische Lage Afghanistans und Auswege zu diskutieren. Unsere europapolitische Sprecherin Christine Kamm moderierte das Treffen.

Khazan-Gul Tani lehnt die weitere Präsenz von NATO-Truppen ab, aber auch einen vollständigen Rückzug des Westens, etwa bei der Militär- und Polizeiausbildung. Beides hätte neues Blutvergießen zur Folge. „Schon jetzt kommen täglich 50 bis 100 Menschen in Afghanistan ums Leben“, berichtet er. Durch Anschläge, aber auch Militäroperationen von NATO-Truppen. Wäre der Westen überhaupt nicht mehr präsent, würden die Taliban in dieses Vakuum stoßen. Bleiben aber die Truppen, reißen die Anschläge nicht ab. Scharf kritisiert er das geplante Sicherheitsabkommen zwischen afghanischer Regierung und NATO. Bei Menschenrechtsverletzungen durch NATO-Soldaten hätten Afghanen qua Vertrag keine Chance, ihre Rechte einzuklagen. Stattdessen „werden wir weiter süchtig gemacht nach Geld“, sagt er. 

Sein Ziel: die Befreiung von Geldströmen, die nur dem Konsum und nicht der Selbsthilfe dienen, "damit wir nicht länger Geld mit Gewehren und Opium verdienen müssen." Stattdessen müssten neue Verdienstmöglichkeiten in Afghanistan geschaffen werden, und eben "kein Geld, um Strom zu kaufen, sondern Geld, um selbst Strom erzeugen zu können. Alleine, wenn wir ein ein Fünftel oder ein Viertel von dem Geld, das nach Afghanistan  fließt, in die Landwirtschaft investieren könnten, wäre unserem Land viel geholfen.“

Zudem  unabdingbar: Knowhow, Infrastruktur und vor allem: Bildung. Und ein funktionierendes staatliches System, das die Sicherheit Afghanistans und seiner multiethnischen Bevölkerung garantiert: „Ohne Hilfe des Westens haben wir auf einen Schlag keine Polizei und kein Militär mehr.“ Eine Lücke, die in Windeseile die nach wie vor gut aufgestellten Taliban ausfüllen würden.

Sein Vorschlag: Afghanistan braucht ein föderales System, um den Bedürfnissen all seiner Bewohner – in den Städten und auf dem Land – gerecht zu werden. Eine Idee, die auch Christine Kamm, die als asylpolitische Sprecherin viele Kontakte zu AfghanInnen pflegt, nur unterstützen kann. Für Claudia Stamm ist Tani einer der Hoffnungsträger für das gebeutelte abgelegene Land, dessen Zukunft zugleich von immenser geopolitischer Bedeutung ist. „Mich hat vor allem seine Aussage beeindruckt, Schulen für Mädchen bauen zu wollen, was er seiner Mutter am Sterbebett versprochen hat“, sagt Stamm.

Mit Khazan-Gul Tani haben  EU, USA und NATO einen Ansprechpartner, der unbequem sein mag, aber dank seines Ansehens, seiner Lebenserfahrung uns einer strikten Absage an Taliban und Korruption, einer von vielen nötigen Garanten für Frieden am Hindukusch sein könnte. Und einer, dem bewusst ist: „Wir können die Probleme nur lösen, wenn auch der Westen dazu bereit ist.“

StW