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„Krisen vorbeugen – Konflikte lösen. Friedens- und Konfliktforschung in Bayern stärken“

Bericht vom Symposium im Bayerischen Landtag am 1. Oktober 2021

14. Oktober 2021

Zivile Konfliktlösungsansätze spielen immer noch eine untergeordnete Rolle, obwohl sie im Vergleich zu militärischen Einsätzen unvergleichlich humaner, effektiver und – das bestätigt die Friedens- und Konfliktforschung – mit wesentlich geringerem finanziellem Einsatz friedliche Entwicklung und Stabilisierung schaffen könnten. Auf sie muss der Fokus gerichtet werden, findet Anne Franke, die forschungs- und friedenspolitische Sprecherin der Grünen Fraktion und lud zu einem Symposium „Krisen vorbeugen – Konflikte lösen“ ein, zu dem Friedens- und Konfliktforscher*innen aus ganz Bayern in den Landtag kamen, um sich zu vernetzen.

Krisenprävention und zivile Konfliktbewältigung müssten endlich im gesellschaftlichen Diskurs wie auch in der internationalen Politik Vorrang vor militärischen Einsätzen bekommen, so die Forderung der Grünen. Auch innerhalb der Gesellschaft brauche es eine Stärkung der zivilen Konfliktlösungsinstrumente, betonte Anne Franke, und führte dafür als Beispiele an: im kommunalen Konfliktmanagement, bei demokratischen Bürgerbeteiligungsprozessen, in der Integrationsarbeit oder auch bei der Polizeiarbeit – Stichwort Deeskalation. Ein Bundesland wie Bayern kann Entscheidendes dazu leisten, Krisenprävention und Konfliktlösung mehr in den Fokus zu rücken, indem es die Friedens- und Konfliktforschung stärkt.

An diesen Gedanken knüpfte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze in ihrem Videogrußwort an: Das Thema Frieden ist nicht allein außenpolitisch von großer Bedeutung, sondern auch innenpolitisch. Die Forschung in diesem Bereich trägt dazu bei, Konflikte zu lösen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Politik zieht sinnvollerweise immer die neuesten Erkenntnisse der Forschung zu Rate, um daraus Handlungsoptionen und Initiativen abzuleiten, so Schulze. Wie zentral das Thema Frieden in der Politik ist, zeige sich auch daran, dass Frieden einen Baustein in den Nachhaltigkeitszielen (SDG) der Vereinten Nationen bildet.

Die Hauptrednerin des Abends, OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid, konnte wegen eines ausgefallenen Fluges nicht persönlich anwesend sein, doch nahm sie ihre Rede kurzerhand auf Video auf, während sie am Nachmittag am Flughafen in Venedig festsaß. Auf diese Weise konnte sie trotzdem pünktlich das Wort an die interessierten Zuhörer*innen richten, die sich bei der öffentlichen Abendveranstaltung – wegen der Corona-Bestimmungen im Landtag leider nur teilweise in Präsenz und ansonsten online – zu den Wissenschaftler*innen gesellten.

Zur Erinnerung: Die OSZE ist aus dem KSZE-Entspannungsprozess im Kalten Krieg der 1970er und 80er Jahre hervorgegangen. Das Besondere daran: Hier sind nicht nur alle Staaten Europas, die USA und Kanada Mitglied, sondern auch Russland und die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Mit ihren 57 Mitgliedsstaaten bietet die OSZE also eine institutionelle Brücke, um in Zeiten großer Spannungen im Gespräch zu bleiben.

Krisenprävention und zivile Konfliktlösung seien aktueller denn je, so Helga Schmid einleitend. Die OSZE als eine der größten regionalen Sicherheitsorganisationen hat aber bereits seit den 90er Jahren, nach Ende des Ost-West-Konfliktes, ein vielfältiges Instrumentarium ziviler Krisenprävention und nicht-militärischer Krisenbewältigung entwickelt, gerade auch im Blick auf ethnische Konflikte und Unterdrückung nationaler Minderheiten.

Als „Paradebeispiel“ für präventives Engagement der OSZE hob Helga Schmid die Einrichtung eines Hohen Kommissars für nationale Minderheiten mit Sitz in Den Haag hervor. Hier gehe es u.a. um Sprachenrechte, Bildung, soziale Integration, Zugang zur Justiz und nicht zuletzt um heikle Identitätsfragen, die oft zu den tieferen Ursachen für Konflikte zählten. Dieses Engagement sei im Laufe der letzten 30 Jahren immer wieder erfolgreich gewesen, doch liege es in der Natur der Sache, dass diese Resultate der „stillen Diplomatie“ nicht in eine breitere Öffentlichkeit gelangen könnten.

Weitere Einrichtungen sind das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau sowie die OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit. Dem Sekretariat in Wien steht das Konfliktverhütungszentrum zur Seite. Das dort installierte Frühwarnsystem analysiert sicherheitspolitisch relevante Informationen aus dem gesamten OSZE-Raum. Ein Team von Mediationsexperten leistet konkret Beratung und Unterstützung vor Ort: Über 80 Prozent der OSZE-Mitarbeiter sind in sogenannten Feldmissionen beschäftigt, wo sie eine wichtige Vermittlerrolle einnehmen. Sie fördern den Dialog zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen, unterstützen Rechtsstaatlichkeit, den Aufbau demokratischer Institutionen, den Schutz der Grundrechte und andere Voraussetzungen für ein nachhaltiges friedliches Zusammenleben.

Die Bekämpfung des Menschenhandels stellt einen weiteren wichtigen Wirkungsbereich der OSZE dar, auf den Helga Schmid aufmerksam machte. Das Problem werde ihrer Auffassung nach immer noch unterschätzt, obwohl es jährlich mindestens 25 Millionen Opfer fordere. Auf 2200 Fälle komme gerade mal eine einzige Strafverfolgung. Das Augenmerk der OSZE liege daher auf dem Schutz der Opfer und einer Verbesserung der grenzüberschreitenden Strafverfolgung.

Instrumente der Konfliktverhütung können nur wirken, wenn alle Beteiligten bereit sind, sie zu nutzen

Konflikte seien selten eindimensional. Faktoren wie politische Polarisierung, sozioökonomische Disparitäten, zunehmend die Umweltzerstörung, aber auch Mängel in der Rechtsstaatlichkeit spielen dabei häufig eine Rolle. Die Ursachen müssen ganzheitlich und inklusiv angegangen werden, und vor allem müssten Unterstützungsprogramme Vertrauen der Bevölkerung haben. Zur Veranschaulichung führte Helga Schmid den Konfliktschauplatz Ost-Ukraine an, wo die OSZE sich darum bemüht, eine Eskalation zu verhindern. Die 2014 entsandte OSZE-Sonderbeobachtermission sei die größte Mission, technisch aufwendig und für die Mitarbeiter*innen schwierig und zum Teil hochgefährlich. Helga Schmid zeigte sich überzeugt, dass jedoch gerade diese zivile Mission mit 800 unbewaffneten Beobachter*innen aus 40 Nationen dazu beigetragen habe, Spannungen abzubauen. Leider gelinge es seit über sieben Jahren nicht, über einen brüchigen Waffenstillstand hinaus den Prozess zur Lösung des Konflikts entscheidend voranzubringen, wie Schmid bedauernd resümierte. Man hoffe hier auf politische Impulse etwa aus dem Normandie-Format.

Gleichzeitig bildeten sich leider auch immer neue Kristallisationspunkte für Spannungen in Europa. Das Beispiel Belarus zeige, dass die OECD zwar über gute Instrumente der Konfliktverhütung verfüge, dass diese aber nur wirken können, wenn alle Beteiligten bereit sind, sie zu nutzen.

Als eine der aktuellen Herausforderungen nannte Helga Schmid beispielhaft die verstärkte Einbeziehung von Frauen in Friedensprozesse. Es sei empirisch belegt, dass Friedensprozesse ohne Frauen sehr viel weniger Chancen auf Bestand haben. Fragen wie diese aufzugreifen, einzuordnen und fundiert zu diskutieren gehe nur dank wissenschaftlicher Unterstützung. Klare Empfehlungen für die Politik bedürften der Expertise aus verschiedenen Fachgebieten. Es sei sinnvoll, Strukturen der Zusammenarbeit zu schaffen und zu institutionalisieren. Seit vielen Jahren gebe es einen bedeutenden Wissenstransfer in die politischen Diskussionen der OSZE, auch durch den Austausch mit externen Expert*innen. Dabei haben sich im Laufe der Jahre engere Partnerschaften mit einzelnen Instituten herausgebildet. Helga Schmid erwähnte hier das Zentrum für OSZE-Forschung CORE, im Jahr 2000 an der Universität Hamburg gegründet, das im Sinne einer zielorientierten Politikberatung praxisnahe Forschung betreibt.

Abschließend ging Helga Schmid noch einmal auf die aktuelle Situation in Afghanistan ein. „Für mich als OSZE-Generalsekretärin ist klar, dass wir alles tun müssen, um die Einhaltung der Frauen- aber auch der Minderheitenrechte einzufordern – heute, aber auch in Zukunft.“ Die Ansätze der internationalen Sicherheits- und Entwicklungspolitik müssten stetig angepasst und neu austariert werden. Eine Bündelung aller Kräfte aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft sei nötig. Die Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland und andernorts müsse hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.


Forschung ist Aufgabe der Bundesländer. Wie die Friedens- und Konfliktforschung in Bayern gestärkt werden kann, darüber berieten die Expert*innen der bayerischen Universitäten und Hochschulen am Nachmittag in Fach-Workshops und räsonierten am Abend im Rahmen einer Podiumsdiskussion. Teilnehmende waren hier neben Gastgeberin Anne Franke (MdL) Professor Ulrich Schneckener (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Friedensforschung DSF), Professor Christoph Weller (Universität Augsburg), Professor Stephan Stetter (Universität der Bundeswehr München) und Dr. Almut Wieland-Karimi vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF). Das Gespräch moderierte Fabian Sauer. Fragen und Anregungen aus dem Publikum an die Experten beschlossen den Abend.


Die Wissenschaftler*innen stellten am Nachmittag eingangs fest: Unbestreitbar ist Bayern auf der Landkarte der deutschen Friedens- und Konfliktforschung ein ziemlich weißer Fleck. Und auch am Schluss war man sich einig: Das soll sich ändern, und es lässt sich ändern. Der erste Schritt dazu wurde mit dem Symposium erfolgreich getan. Er bestand darin, all diejenigen bayerischen Forscher*innen, die aus ihrer jeweiligen Fachperspektive an dem interdisziplinären Thema arbeiten, Gelegenheit zu bieten, im Landtag zusammenzukommen, sich persönlich kennenzulernen, sich fachlich auszutauschen und miteinander zu vernetzen. Tatkräftige Unterstützung bei der organisatorischen Vorbereitung und Durchführung dieses Vernetzungstreffens leistete der Verband Universität Bayern e.V.

Das mittel- und langfristige Ziel, dass die Grünen mit Veranstaltungen wie dieser verfolgen, ist klar definiert: An möglichst vielen Universitäten und Hochschulen in Bayern soll die Friedens- und Konfliktforschung in Forschung und Lehre Profil gewinnen. Weitere Masterabschlüsse - die sehr gefragt sind - sollen ermöglicht werden. Und gestärkt werden soll nicht zuletzt die außeruniversitäre Forschung, damit auch Bayern seinen Beitrag zur Politikberatung leistet, wie andere Bundesländer mit renommierten Friedens- und Konfliktforschungsinstituten es seit vielen Jahren tun. Auch die Ausstrahlung und das Einwirken in die mediale Berichterstattung und den gesellschaftlichen Diskurs ist Ziel.


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Eine ausführliche Video-Dokumentation des Symposiums steht in Kürze auf der Website von Anne Franke zur Verfügung.


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