Bildung und Wissenschaft

Statt Ankündigungen endlich die Schulen tatkräftig unterstützen

Deutschlandweit fehlen 12 000 Lehrkräfte an den Schulen – auch Bayern ist von diesem Mangel betroffen.

02. Februar 2023

Die Söder-Regierung schöpft die Möglichkeiten, die es gegen den Lehrkräftemangel gibt, noch nicht genug aus. Der Grüne Dringlichkeitsantrag zeigt eine Fülle an Ideen, wie man den Schulen kurzfristig in ihrer Personalnot helfen kann.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz hat am 27.1.2023 ihre Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel veröffentlicht. Wir Grüne haben davon einige Ideen in unseren Dringlichkeitsantrag, der am 02.02.23 im Plenum war übernommen und ergänzt.

Bayern ist ein Einwanderungsland. Doch Lehrkräfte, die aus dem Ausland kommen, müssen bisher das höchste Sprachniveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen in Deutsch nachweisen (C2), um als Lehrkraft arbeiten zu können. Wir ändern das und lassen für die Sondermaßnahme auch das zweithöchste Niveau, C1, zu. Denn eine Lehrkraft, die dieses Sprachniveau vorweist, kann „ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch implizite Bedeutungen erfassen. Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlich erkennbar nach Worten suchen zu müssen. Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen. Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern und dabei verschiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden.“[1] Sie gebraucht das Deutsche also bereits kompetent und wie Expert*innen. Die Sondermaßnahme dauert zwei Jahre. Das ist genug Zeit, um den Lehrkräften mit begleitenden Sprachkursen auf das Sprachniveau C2 zu verhelfen. Dadurch können wir mehr Menschen für die Sondermaßnahme als bisher gewinnen.

Lehrkräfte haben an den Schulen viele Aufgaben: Sie unterrichten und bereiten ihren Unterricht vor und nach. Sie führen Gespräche mit Einzelschüler*innen sowie mit Eltern. Sie schreiben Zeugnisse. Sie nehmen an Konferenzen teil. Sie fertigen Kopien an. Sie sammeln Geld ein. Sie beaufsichtigen die Schüler*innen in den Pausen. Sie kümmern sich um die Technik im Klassenzimmer. Sie schreiben Elternbriefe und sammeln die Rückläufe wieder ein. Und noch vieles mehr. Gerade in Bayern ist die Bürokratie deutlich ausgeprägter als in anderen Bundesländern. So wünschen sich laut Deutschem Schulbarometer 62% der Schulleitungen gerade im administrativen Bereich Entlastungen. Das ist eine Abweichung von 10% im Vergleich zu anderen Bundesländern. Eine einfache Lösung für dieses Problem ist, mehr Stellen in den Schulsekretariaten zu schaffen. So können den Lehrkräften Verwaltungsaufgaben wie beispielsweise das Ausdrucken von Zeugnissen oder das Protokollieren abgenommen werden. Sie haben dann mehr Zeit für ihren Unterricht und damit auch für die Schüler*innen. Aber auch im Unterricht entlasten wir mit unserem Vorschlag, langfristig eine zweite pädagogische Kraft in jeder Klasse zu etablieren, die Lehrkräfte und ermöglichen somit die individuelle Förderung aller Schüler*innen.

Mittelfristig soll Unterrichten in Teams zur Regel an bayerischen Schulen werden, begonnen soll damit in Grund-, Förder- und Mittelschulen. Eine zweite Fachkraft in jeder Klasse ist das erklärte Ziel, dort wo die Klassenstruktur durch Lerngruppen abgelöst wird und in der Ganztagesbildung, sollen auch pädagogische Teams etabliert werden. Die zweite Fachkraft muss keine Lehrkraft sein: Förderschullehrkräfte, Therapeut*innen, pädagogische Assistent*innen, Erzieher*innen und andere pädagogische Fachkräfte sind hier denkbar: Entscheidend ist jedoch die gleichberechtigte Anstellung an den Schulen.

Der ersatzlos ausgefallene Unterricht war in den letzten zwei Jahren so hoch wie selten zuvor.[2] An den meisten Schulen können keine freiwilligen AG-Angebote oder Förderstunden mehr angeboten werden. Damit diese wertvollen Zusatzangebote nicht ausfallen, müssen neue Wege beschritten werden. Wenn Stellen nicht mit Lehrkräften besetzt werden können, dann müssen die Schulen das dafür vorgesehene Geld direkt bekommen. Auf diese Weise gibt es Raum für kreative Lösungen, welche die Lehrkräfte entlasten und bei den Schülern zugleich soziales Lernen und Projektlernen fördern – etwa durch Kooperationen mit externen Partnerinnen und Partnern wie Vereinen. Die Schulen könnten auch Projekte mit Künstlerinnen und Künstlern eingehen oder Zusatzprogramme mit Sportvereinen anbieten. So kriegen die Kinder das, was sie brauchen: sie bewegen sich, sie betätigen sich kreativ, testen ihre Grenzen und sich selbst und stärken ihre sozialen Fähigkeiten. Ebenso ist die Unterstützung der Schulen durch Ehrenamtliche eine gute Möglichkeit, um durch beispielsweise Mentoring-Programme individuelle Förderung zu ermöglichen. Denn gerade Kinder, bei denen sich die Familie keine Nachhilfe leisten kann, leiden, wenn Förderangebote ersatzlos gestrichen werden. Durch unseren Antrag sorgen wir für Chancengerechtigkeit.

Und auch den Unterricht modernisieren wir mit unseren Vorschlägen. Schüler*innen erhalten mehr Zeit zum selbstgesteuerten Lernen. Das ist auch eine der zentralen Empfehlungen der SWK. Viele der Unterrichtsmodelle, die auf verschiedenen Formen der Selbstlernzeit von Schüler*innen basieren, zeigen sehr positive Lerneffekte. Allerdings ist das selbstregulierte Lernen auch ein anspruchsvolles Lernsetting. Denn Selbstregulation, also die Fähigkeit, Aufmerksamkeit, Emotionen und Impulse zu kontrollieren sowie individuelle Ziele konsequent zu verfolgen, ist eine Kompetenz, die erst gelernt werden muss. Die pandemiebedingten Schulschließungen und die immer weiter steigende Nutzung digitaler Medien durch Kinder haben gezeigt, wie wichtig diese Kompetenzen sind. Der Fähigkeit zur Selbstregulation wird von einflussreichen Institutionen wie der UNESCO eine Schlüsselrolle für den Bildungserfolg im 21. Jahrhundert zugeschrieben. Und es ist weitaus mehr als der Bildungserfolg, für den  Selbstregulation langfristig eine Rolle spielt: Studien zeigen, dass Menschen, die als Kinder selbstregulierter sind, später als Erwachsene durchschnittlich ein höheres Einkommen, eine bessere Gesundheit und eine höhere Lebenszufriedenheit haben.[3] Es gibt bereits in Studien erprobte Unterrichtskonzepte[4], die die Fähigkeit der Selbstregulation fördern und in kurzer Zeit sogar an der Grundschule zu Erfolgen führen. Damit solche Konzepte auch in den Schulen umgesetzt werden, muss Selbstregulation als Kompetenz im Lehrplan Plus verankert werden.

Zudem wollen wir weg vom starren 45-Minuten-Takt und reinem Fachunterricht hin zu mehr fächer- und stundenübergreifendem Projektlernen. Denn wenn Schüler*innen sich zum Beispiel wie am FREI DAY einmal pro Woche ein Thema selbst aussuchen dürfen, das sie beschäftigt und dieses bearbeiten, dann fördert das nicht nur die Motivation und die Selbstwirksamkeitserfahrungen der Schüler*innen, sondern entlastet auch die Lehrkräfte.

Die Söder-Regierung hat durch ihre Fehlplanung den heutigen massiven Lehrkräftemangel verursacht. Wir setzen uns mit unseren Vorschlägen dafür ein, dass die Schule trotzdem jedem Kind gerecht wird und Schule endlich modern wird.


[1] europaeischer-referenzrahmen.de/sprachniveau.php

[2] www.km.bayern.de/statistik

[3] Vgl. www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.1010076108

[4] Vgl. www.nature.com/articles/s41562-022-01449-w